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Plädoyer für einen entwicklungstherapeutischen Fachverband

Gründung eines Berufs- und Fachverbandes

Psychotherapie als psychologische Profession

Psychotherapie, wie sie mit der Tiefenspsychologie aufgekommen ist, steht für eine psychologische Profession. Sie kann in einer heilkundlichen Rahmung ihre eigene Sache nicht angemessen vertreten. Seit 2003 gibt es nun einen Fachverband, der die Interessen derjenigen vertritt, die ihre Arbeit nicht generell einem heilkundlichen Verständnis von Psychotherapie zuordnen, und sich vielmehr für eine medizinunabhängige Psychotherapie einsetzen, die auf dem Niveau einer Entwicklungstherapie auch eine berufspolitische Vertretung hat. Als Aufruf zu einer solchen Gründung kann der folgende Artikel aus dem Jahr 2001 angesehen werden.

Plädoyer für einen Entwicklungstherapeutischen Fachverband

(Entwicklungstherapie; Heft 1 / 2001)

Seit einiger Zeit schon beschäftige ich mich mit dem Vorhaben der Gründung eines Fachverbandes für Entwicklungstherapie. In Zusammenarbeit mit den engagierten Mitgliedern des Psychosozialen Forums entwickeln sich die Ideen diesbezüglich weiter, und wir denken, diese Gründung in nächster Zeit Erfolg versprechend durchführen zu können.

Zum formalen Stand der Dinge

Das Psychosoziale Forum hat in den letzten Jahren bereits eine Psychotherapieförderung entwickelt und als Modell erprobt. In Zukunft möchten wir dieses System allgemein zugänglich machen. Organisatorisch sind hierzu noch eine Reihe von Vorbereitungen zu treffen. Die Inanspruchnahme der Förderung setzt nämlich voraus, dass der durchführende Psychotherapeut oder Berater Mitglied in dem noch zu gründenden Fachverband ist. Dieser Fachverband soll die Interessen der heilkundeunabhängigen Psychotherapeuten und Berater vertreten und auf eine entwicklungsorientiert psychotherapeutische Berufsethik verpflichten. Mit den Vorbereitungen zur Gründung eines Fachverbandes „Gesellschaft für Entwicklungstherapie GET“ wurde im Herbst 2000 begonnen. Mitgliedschaftsbedingung: Abschlusszeugnis einer anerkannten mehrjährigen und zu einer psychotherapeutisch entwicklungsorientierten Arbeit befähigenden Zusatzausbildung. Die Gründung eines solchen Verbandes soll eine Vertretung schaffen für alle Psychotherapeuten und Berater in ihren gemeinsamen, auf die Entwicklung hin ausgerichteten Interessen und zugleich als eine politische Aktionsbasis im weiten Sinne dienen. Der Verband soll außerdem ein Ort sein, wo den Verwirklichungen des Gemeinsamen gerade in den Eigenheiten der unterschiedlichen Schulen eine besondere Bedeutung zukommt.

Forum und Bildanalytik als anschiebende Kraft

Warum wird gerade vom Psychosozialen Forum die Gründung eines solchen Verbandes initiiert? Warum gerade von einem Verein, der sich für eine Psychologie in der Nachfolge Friedrich Nietzsches einsetzt und für das Konzept einer bildanalytischen Psychologie, wie sie seit zwei Jahrzehnten in Theorie und Praxis hier entwickelt wurde? Antwort in Kurzform: weil sich „das Forum“ mit seinen Mitgliedern, ebenso wie ich, mit „Leidenschaft“ für das über die Schulen hinausgehend Gemeinsame innerhalb des Tiefenpsychologisch psychotherapeutischen interessiert. Anderenorts wird das Gemeinsame oft mehr in den formalen Dingen, z.B. in einer verbesserten Regelung zur Abrechnung mit den Krankenkassen, gesucht. Und in- haltlich ist die Leidenschaft dann vor allem auf die Abgrenzung der eigenen Schule und auf die sogenannte Konkurrenz gerichtet. Für eine gesteigerte Neigung zur Abgrenzung untereinander gibt es aber auch noch einen anderen Grund: Zum besseren Verständnis hierfür muss etwas weiter ausgeholt werden.

System und Gefühl sollen zusammengehen

Die tiefenpsychologischen Schulen sind alle auf den theoretischen Ansätzen Sigmund Freuds aufgebaut. Dadurch sind sie auch alle erfüllt von einer bestimmten Idee, nämlich, dass es machbar ist, unser wissenschaftliches Bedürfnis nach System (und Ordnung) mit dem zusammen zu bringen, was wir unter den Affekten eines Menschen, unter seinem Gefühlsleben und seinen Erlebensweisen verstehen. Freud zeigte auf, dass es eine Ordnung in den geschichtlichen Prozessen von Erlebnissen und ihren Verarbeitungen gibt. Seine Modellbildungen suchten das festzuhalten und zum Mittelpunkt einer neuen Wissenschaft zu machen. Das war ein kräftiger Impuls. Das Problem Freuds war nun, und das zeigen seine ersten Modellvorstellungen deutlich, eine passende Sprache zu finden und die passenden Gleichnisse für eine Theorie, die es erlauben würde, beides (also System und Erleben) auch wirklich in einem zu denken. Wenn das nämlich verfehlt würde, drohte das Neue dieser spannenden Wissenschaft ganz einfach wieder in einer einfachen Alltagspsychologie oder in einer, sich aus der Physiologie ableitenden Lehre verloren zu gehen.

Dieser schwierigen Aufgabenstellung für die Weiterentwicklung seiner Theorie verdanken wir weitestgehend allerdings auch die sich verselbstständigende Auseinanderentwicklung in der gemeinsamen Sache, der zur Folge nicht zuletzt die vielen Schulen entstanden. Alfred Adler z.B. fand, dass sich das Sexuelle zu sehr als eine Erklärungseinheit verfestigt hatte und entwickelte ein Verständnis vom Seelischen nach Art einer Konstruktion, die mit weniger materialer Festlegung auskommen sollte. C.G. Jung hingegen sah in dem individuell jeweils festgelegten Unbewussten eine unpassende Verfestigung, brachte das kollektive Unbewusste mit seinen Bildern und Mythen ins Spiel und schuf damit eine weitere Modellvorstellung. Die sogenannten Abspaltungen und Neuentwicklungen von Schulen lassen sich auch als eine Art von Selbstbehandlungsversuch der Tiefenpsychologie verstehen, welche darum bemüht ist, die jeweiligen Verfestigungen als Verfehlungen des mit der Tiefenpsychologie aufgekommenen Anspruchs durch Neuansätze und Variationen aus der Welt zu schaffen.

Erfolglose Versuche aus einem Dilemma herauszukommen

Ein neues, besseres System sollte jeweils die Probleme beseitigen helfen. Die Alternative, den Systembegriff einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen und dem Ziel entsprechend vielleicht nach etwas Drittem und Anderem zu suchen, was den Ansprüchen einer Vermittlung von Ordnung und Gefühlshaften entsprechen würde, hatte weniger Konjunktur. Dadurch gerieten die Lösungsversuche dieser Art von Selbstbehandlung aber selbst in die Nähe von einer „Symptombehandlung“ und es konnte sich in bezug auf das allgemein verspürte Schulen- und Aufspaltungsproblem auf diese Weise keine grundsätzliche Veränderung einstellen. Natürlich wurde vieles versucht und entwickelt, darunter vieles, was Beachtung und Anerkennung verdient. Wenn man aber die Leidenschaft am Gemeinsamen zum Maßstab nimmt, erscheint alles zusammengenommen wie ein großer Aufwand an der falschen Stelle. Gefehlt hat bisher eine Krise, welche den auf allen möglichen Ebenen geleisteten Aufwand einmal selbst zum Inhalt hat. Die von der Gründung eines Entwicklungstherapeutischen Fachverbandes ausgehenden Impulse könnten u.a. mit dazu beitragen, eine solche Art von fruchtbarer Krise in Gang zu bringen.
Und nun noch einmal zurück zu dem, was wir in der Theorie Freuds als den wesentlichen Impuls und Anstoß ansehen müssen, verbunden mit der Frage danach, wie das darin eingeschlossene Problem denn zu lösen wäre.

Stichwort: Erleben und System

Das Erleben hatte immer schon eine anerkannte Bedeutung, z.B. in der Erziehung oder bei der Bildung eines Charakters. Dass Erlebnisse und bildhafte Zusammenhänge als Leitfaden für die Behandlung körperlicher Störungen manchmal besser waren als die von der Physik und Physiologie angebotenen Erklärungen, war schon beeindruckend. Dieses Denken war aber auch nicht mehr so ganz neu, denn es gab ja schon ähnliche Erfahrungen, z.B. die Beobachtungen von gezielten Einwirkungen durch Hypnose und überhaupt die Erfahrung der Spontanheilung im Zusammenhang mit besonderen Erlebnissen. Kein Arzt hätte geleugnet, dass es heilende Wirkungen durch Erlebnisse gibt. Zu etwas ganz Neuem wurden die Behandlungen Freuds erst dadurch, dass er mit Konsequenz versuchte, die Wertschätzung des Erlebten und Gefühlten mit dem bestehenden Bild von Wissenschaft in Übereinstimmung zu bringen: Er versuchte dem Zeitgeist entsprechend zu zeigen, dass sich Seelisches wie ein System verhält, wenn auch wie ein seltsames System, wie er es uns in der Logik des Unbewussten mit seinen paradoxen Gesetzen zur Darstellung gebracht hat.

Mit Freuds ersten Systematisierungen drohte allerdings auch die Gefahr, dass die gerade erst neu gewonnene Einsicht in die Natur der psychischen Dinge auch wieder verloren gehen könne. Der neue Blick einer Tiefenpsychologie sagte nämlich: Die seelische Wirklichkeit organisiert sich in Bildern, also in Gleichnissen und Analogien, und nicht in Systemen. Es besagt, dass sich auch unser Verstehen in Bildern vollzieht, also in Gleichnissen und Analogien und auf keinen Fall in Systemen. Das war die grundlegend neue Erfahrung und Setzung, die aller weiteren tiefenpsychologischen Theoriebildung erst einmal vorausgeht.
In dieser Erfahrung und Setzung liegt gerade das von der Sache her Gemeinsame, und zwar für alle im weiten Sinne entwicklungsorientiert arbeitenden Berater und Psychologen.

Während die Bedeutung dieser Gemeinsamkeit in der öffentlichen Auseinandersetzung mehr und mehr verloren zu gehen drohte, hätte man als eine Therapie der gemeinsamen Sache nun verstärkt nach einem Bild von Psyche suchen müssen, welches mit der neuen „tiefenpsychologisch“ zu nennenden Erfahrung besser in Einklang zu bringen gewesen wäre. Statt dessen wurden aber immer wieder neue Systeme geboren, die jeweils versprachen, von den bereits bekannten Systemzwängen bzw. deren Verselbstständigungen zu befreien. Das Fehlen eines solchen Bildes, was uns ein Verständnis jenseits eines Gegensatzes von Erleben und System erlauben würde, brachte uns schließlich auf das Gleichnis des „Bildverstehens“. Im „Bildverstehen“ ist das Bild gefunden, das der neuen Erfahrung gerecht wird: Seelisches versteht sich in Bildern, Seelisches ist das „bildhafte sich Verstehen“ der Wirklichkeit selbst. Es ist deshalb nicht irgendwo in dem Menschen drin, es ist auch nicht abstrakt auf etwas Konkretem draufgesetzt oder hinter einer Sache stehend. Es ist das Bild (das Gleichnis) der jeweiligen Sache selbst.

Haltung und Konsequenzen

Wenn sich unsere Realität in Gleichnissen und Bildern organisiert, dann macht es nicht mehr so viel Sinn, nach einer Wirklichkeit im Sinne eines Systems zu suchen, welche vor allem Ursachenketten und kausale Wahrheiten für uns hat. Die Wirklichkeit ordnet sich uns dann nicht mehr wie in einer Hierarchie von konkreten und nur als äußerlich gedachten Dingen ausgehend bis zu den in der Tiefe liegenden ursächlichen und wahren Dingen hin. Die Neigung zu einer solchermaßen festen und durchorganisierten Welt passt vielleicht zu einer heilkundlichen Haltung, nicht aber zu der eines entwicklungsorientierten Beraters oder Therapeuten. Dies wäre eine feste Welt, in der ständig etwas kaputt geht und wieder heil gemacht werden kann. Neigen wir aber mehr zu einem Verständnis von Welt, die sich in Bildern und Gleichnissen organisiert, dann wirkt der Pathos eines Arztes eher etwas befremdend für uns, nicht im negativen Sinne, vielmehr wie etwas, was von einer ganz anderen Art und Haltung als die der unseren ist.

Die entwicklungsorientierte Psychotherapie und Analytik hatte ihren berufspolitischen Blick bisher recht einseitig auf den Bereich der Medizin gerichtet und auf die dort bereits eingerichteten Formen der Interessenvertretung. Im Sinne einer ergänzenden Partnerschaft dürfte ein entsprechendes Miteinander-Umgehen natürlich nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es besteht aber auch eine große Gefahr dabei: Mit der Anlehnung an die im heilkundlichen Bereich bestehenden Formen von Organisation und Interessenvertretung kann nämlich auch die Entwicklung des Eigenen versäumt werden: Die nachhaltige Vertretung eines Typus‘ psychotherapeutischer Arbeit, dem es ausdrücklich um die Qualität der Entwicklung geht, verlangt eine eigene organisatorische Form und Interessenvertretung. Ich glaube, und da spreche ich wohl für alle im Psychosozialen Forum mit, dass der „Entwicklungstherapeut“ in diesem Sinne, egal aus welcher psychotherapeutischen Schule er kommt, erst einmal noch seine eigene Interessenvertretung herstellen muss – auch wenn er im konkreten Falle schon recht gut etabliert sein sollte. Er muss eine Art schulenübergreifendes Bündnis herstellen mit all denjenigen, für die diese Orientierung das Verbindende ist. Dieses Bündnis soll außerdem unabhängig davon sein, ob die jeweiligen Mitglieder nun gleichzeitig auch die Erlaubnis zu einer Mitarbeit innerhalb der Heilkunde haben (Approbation) oder nicht und in wieweit die Betreffenden in diesem Falle davon Gebrauch machen.

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