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Fixierendes oder vergleichendes Beschreiben

(denkenimwandel.blogspot.de, Mai 2013)

Bildanalytischer Appetizer Nr. 4

Beschreibung will etwas festhalten

Wenn wir beschreiben, wollen wir etwas festhalten. Etwas, das im Fluss des Geschehens unterzugehen droht, soll uns erhalten bleiben und wieder hervorholbar sein. Deshalb versuchen wir es in einer Beschreibung festzuhalten. Wenn uns dies gelungen ist, kann jeder, der es liest, es sich wieder zugänglich machen.

Beschreiben durch Fixieren

Wenn es um die Bewegung eines geworfenen Balles geht, ist das kein Problem, wir beschreiben die Flugbahn einer Kugel als eine Kurve, die wir vielleicht durch die Höhe beim Abwurf und durch die Zeit beschreiben, welche sie braucht, bis sie auf den Boden aufschlägt, eventuell beschreiben wir auch die sich im Flug verändernde Geschwindigkeit. Darüber hinaus können wir den Vorgang noch durch die Angabe eines kodifizierten Materials, durch die klassifizierte geometrische Form und durch die Größe des Durchmessers in vielem Weiteren festlegen.

Beschreiben durch Analogisieren

Wenn wir dagegen ein seelisches Geschehen beschreiben sind die raum-zeitlichen Verhältnisse meist der unwichtigste Teil von dem was wir festhalten wollen. Oft spielen diese überhaupt keine Rolle. Im seelischen zeigt sich vielmehr das Bildhafte, zeigen sich Beziehungen, Verwandtschaften und Übergänge, die beschrieben werden wollen.
Ein seelisches Geschehen hat seinen Schwerpunkt nicht in den raumzeitlichen Verhältnissen sondern in Verhältnissen, die wir als erlebbar benennen und die wir in Bildern und Gleichnissen vor uns haben.
Deshalb möchte ich für die Beschreibung des Seelischen auch nicht den Fall dieses Balles nehmen: Der geworfene Ball verführt ja schon zu der Aufteilung in einen Beschreibenden (Beobachter) hier und einen geworfenen Ball da. Die Wirklichkeit des Seelischen sieht anders aus:

Seelisches beschreibt sich selbst

Seelisches ist von sich aus schon Beschreibung: Es beschreibt z.B. die Übergänge zwischen Erwartungen und Erfüllungen: So kann ein unruhiges Bangen oder eine Ablenkungen suchende Aufgeregtheit z.B. solch einen Übergang beschreiben. Darüber hinaus ist wichtig zu wissen, dass seelische Befindlichkeiten sich immer erst im Spiegel einer aufstörenden anderen Befindlichkeit erfahren: Die tatsächliche Bedeutung, welche eine wichtige Person für uns hat, fühlen wir nicht sofort, sondern vielleicht erst dann, wenn wir etwas von ihrem besonderem Interesse für eine andere Person als uns mitbekommen haben. Das ist die Natur des Seelischen: Wir haben es darin immer mit Brechungen statt mit einfachen, kodifizierbaren Dingen zu tun.

Eins im Spiegel des anderen…

Das Seelische lebt in solchen lebendigen Spiegelungen. Alles was seelisch auf den Plan tritt tut dies im Spiegel anderer, mitlebender Verhältnisse. Diese relativistische Natur verträgt sich nicht gut mit dem Wunsch eines Festhaltens. Es sei denn, dass wir es dem Seelischen gleichtun und die Verhältnisse ebenso relativistisch festhalten, wie es das Seelische selber tut.

…und die Konsequenz:

Eine Beschreibung muss vergleichend bzw. analogisierend sein: Wir beschreiben seelische Befindlichkeiten also immer durch eine Analogie, durch einen Vergleich. Jemand, der trauert, sitzt z.B. so da „als ob er sein gesamtes Hab und gut verloren hätte“. Dieses Bild beschreibt dann seinen Zustand. Wir machen uns hier zunutze, dass Seelisches sich auch ohne unser Zutun immer schon selbst beschreibt (Beispiel: das unruhige Bangen, das einen Übergang zwischen einer Erwartung und einer Erfüllung beschreibt). Kodifizierte Begriffe wie depressiv oder ängstlich sagen nichts, sie beschreiben nicht wirklich. Erst in Anlogien bilden wir die seelischen Verhältnisse nach.
Abkürzungsversuch
Die fixierende, sich auf Verabredungen (Kodizes) zurücknehmende 1:1-Beschreibung ist für das Seelische demgegenüber ein dummer Abkürzungsversuch. Es ist natürlich sehr verführend, mit einem solchen, magisch aufgeladenen Werkzeug auf ein Festhalten des Seelischen los zu gehen.
Einen solchen Versuch können wir mit dem der Stiefmutter aus dem Märchen von Schneewittchen vergleichen. Sie versucht den lebendigen Spiegel der Entwicklung loszuwerden, indem sie die Beseitigung der heranwachsenden Stieftochter in Auftrag gibt. Im Spiegel der heranwachsenden Schönheit muss sie sich nämlich selbst als alt erfahren. Das will sie aber nicht. Sie möchte viel lieber an dem gewordenen Bild ihrer Schönheit festhalten, und dieses Bild als wahr fixieren.

– Spieglein, Spieglein an der Wand –

Hierzu muss jetzt von ihr, der Königin, eine andere Art von Spiegelung gefunden werden. Etwas Magisches wird gebraucht. Eine Art von „Wahrheits“-Spiegel“ muss die Arbeit übernehmen („Wahrheit“ via Statistik oder durch kodifizierte 1:1-Beziehungen). Doch wie wir – übrigens nicht nur aus dem Märchen – wissen, spielt selbst so ein Zauberspiegel am Ende nicht mit. Auf die Frage: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ schmeichelt er zwar der Königin ZUERST, weist sie dann aber doch mit einem ABER auf das UNGESEHENE hin, das sich nebenher entwickelt hat: „…aber Schneewittchen hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen ist tausendmal schöner als ihr.“

Kulturtechnik: Analogisieren

In den Schulen sollte zukünftig eine neue Kulturtechnik auf dem Lehrplan stehn:
Neben dem Rechnen, Lesen und Schreiben das Analogisieren.

Beispiel aus einer solchen zukünftigen Unterrichtsstunde:

Ein Schüler ballt die Faust und reckt sie dabei hoch. Die Schüler sollen nun
sagen, was der Vorführende dabei fühlt oder damit „sagen“ will.
Sie versuchen es vielleicht mit „ich bin der Größte“, „Wow, wie bin ich gut“,
„mir kann keiner das Wasser reichen“ oder „ich werde es euch zeigen!“
Die Schüler „schmecken ab“, welche Als-ob-Beschreibung (Analogie) am besten trifft.