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Zur Frage nach den Anfängen des Seelischen

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Entwicklungsraum des sich selbst konstituierenden Seelischen

Inzwischen ist die Forschung immer weiter zurück in die Zusammenhänge und Fragestellungen früherer seelischer Verhältnisse gegangen. Und hier setzt für mich besonders W.E. Freud etwas konsequent fort, so als gäbe es von Sigmund Freud über seine Tochter Anna zu ihm als Enkel herunter eine geheime Abstimmung darin. W.E. Freud ist im Umkreis von Anna Freud und ihrer Hamstaed Child-Therapy Klinik und später durch Beobachtungen an Intensivstationen für Frühgeborene der Frage nachgegangen, was das Seelische dieser ganz Kleinen existenziell auszeichnet, was für sie bedrohlich ist, wie sie sich helfen und wie wir ihnen am besten helfen können.
Seine Beobachtungen weisen für mich auf ein Prinzip hin, welches ich im Folgenden auf eine Formel bringen will, auf eine Formel, die sich auch eignet als ein Modell für eine Analyse der vielfältigen späteren bzw. reiferen seelischen Formen genommen zu werden. Demnach scheint mir eine allererste Form der seelischen Existenz in der Art eines sich selbst genießenden Zusammenspiels zu liegen. Gemeint ist damit ein Zusammenspiel von Teilen nach Art eines spielerischen sich Zusammenfindens. Beim Erwachsenen finden wir das z.B. sehr deutlich in der Form des Tanzens wieder. Einzelheiten stimmen sich gleichsam untereinander ab zu einer „Bewegung“ bzw. zu einem Bewegungsganzen. Es hebt sich etwas innerlich Verbindendes heraus, was nicht aus Anderem einfach ableitbar ist, aber höchst beeindruckend Verschiedenes für eine Zeitlang (Eigendynamik) zusammenhält. Vielleicht sind im konkreten Falle die Hand des Fötus und die Nabelschnur in einem Spiel verwoben. Und auch nach der Geburt spielt dieses Prinzip eine ganz wichtige Rolle in der Auseinandersetzung mit der Welt. Der Säugling versucht nach der Trennung aus der vertrauten Form des Zusammenseins mit der Mutter immer wieder, auch in der neuen Welt da draußen so ein sich selbst geniessendes Zusammenspiel herzustellen. Das erweist sich als besonders wichtig, wenn das Zusammensein durch eine Frühgeburt gestört worden ist. W.E. Freud meint hierzu, der normale Fötus entwickele eine Art von psychischer Immunität im Mutterleib gegen spätere Belastungen, wenn ganz viele Erfahrungen im Sinne eines solchen Zusammenspiels im intrauterinen Stadium stattgefunden haben, z.B. Erfahrungen rhythmischer Art, die als die einfachste Form innererer Abstimmung und Synchronie angesehen werden können.
Wenn wir die Eigenaktivität des Fötus und des frühen Säuglings noch etwas mehr in den Mittelpunkt rücken, wird eine weitere Qualtiät des Zusammenspiels sichtbar. Schauen wir uns hierzu das Blickkontaktspiel des Säuglings an. Durch genauere Beobachtungen ist bekannt, dass der Säugling nach einem „berauschenden“ Blickkontakt mit der Mutter ohne ersichtlichen Grund seinen Blick oft rasch wieder von ihr abwendet, obwohl dieser vom Säugling selbst hergestellt wurde und offensichtlich etwas für Mutter und Säugling Berauschendes hat. Dem Beobachter scheint es, als habe er, der kleine Säugling, gerade die Sonne aufgehen lassen (und so in etwa dürfen wir nach der von Daniel Stern empfohlenen Einfühlmethode uns auch versuchen, in die Gefühlswelt des Kleinen hineinzuversetzen). Außerdem gibt es in den beobachteten Situationen keinen Hinweise auf eine Überreizung oder auf etwas ähnlich Abzuwehrendes, was das Wegdrehen des Köpfchens auf eine einfache Weise erklären könnte. Wir müssen deshalb etwas anderes annehmen, was einem solchen „Rückzug“ des Säuglings Sinn gibt. Meine Vermutung besteht darin, dass der Säugling dieses Spiel ganz einfach wiederholen will. Er will noch einmal die Sonne aufgehen lassen, weil es eben so berauschend schön ist. Für mein Verstehen handelt es sich hier um eine Art von „Schöpfungsspiel“.
Weil es hier um eine Wiederholung geht, könnten wir nun versucht sein, hier das gleiche Prinzip wirken zu sehen, was wir schon von dem, aus der psychoanalytischen Literatur bekanntem Holzspulenspiel des Kleinkindes kennen. Freud hatte hier an seinem 1 ½ Jahre alten Enkel eine interessante Beobachtung gemacht. Das beobachtete Kind warf wieder und wieder eine Spule, die an einem Faden befestigt war, in das Innere eines verhängten Bettchens hinein, um es dann mit einem freudigen „Da“ wieder hervorzuziehen. Das Spiel mit einer Spule, die nach ihrem jähen Verschwinden wieder zum Erscheinen gebracht werden, kann, lässt sich als eine Inszenierung verstehen, die den Sinn hat, symbolisch der immer gegenwärtigen Möglichkeit eines unumkehrbaren Verlustes etwas entgegen zu setzen. Neben den beglückenden Gefühlen einer zunehmenden Bindung an ein geliebtes Objekt entstehen auch die unangenehmen Gefühle, die mit der Möglichkeit eines unwiederbringbaren Verlustes des geliebten Objektes zusammenhängen. Diesen Gefühlen kann vorbeugend etwas entgegengesetzt werden und zwar in der Form einer solchen Inszenierung, die das Kind an die magische Macht eines bestehenden Bandes glauben lässt, welche eine wirkliche Trennung gar nicht zulässt. Das Spiel mit der Holzspule zeigt auf eine symbolische Weise, dass etwas, was schon als verloren gegangen schien, zu einem Wiederkommen gebracht werden kann.
In dem Blickkontaktspiel und in dem Schöpfungsspiel ganz allgemein geht es aber, wie mir scheint, um etwas Anderes, um etwas noch Grundlegenderes: Dem Säugling geht es offenbar darum, sich als ein erschaffendes Wesen zu erfahren, und, indem er die Mutter anlächelt, gleichsam die Sonne aufgehen zu lassen. Die Wiederholung hat hier also nicht die Bedeutung, etwas bereits im Besitz Befindliches zu sichern oder einer Verlustgefahr zu trotzen, wie es in dem Holzspulenspiel die Sache zu sein scheint, sondern es geht hier, im Falle des Schöpfungsspiels, um die am liebsten nicht enden sollende Erfahrung eines Erschaffenkönnens. Die Überlegungen zu den ganz frühen Beobachtungen scheinen also eher auf eine ganz elementare und bisher noch zu wenig berücksichtigte Seite des Seelischen aufmerksam zu machen.
Mit dem Schöpfungsspiel des Säuglings kann der schlimmsten Gefahr im Sinne einer Vorbeugung etwas entgegengesetzt werden, und zwar im Sinne einer Stärkung: Der Säugling pumpt sich gleichsam auf mit einem Gefühl für das Herstellenkönnen eines inneren Bandes. Jetzt kann ruhig die eine oder andere Verbindung einmal reißen, er wird es mit der Herstellung eines neuen Bandes wieder versuchen und er wird es schaffen.

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