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Der dyadisch gestützte Entwicklungsraum
Und damit kommen wir jetzt zu einer Betrachtung des zweiten seelischen Raumes, der in der Entwicklung durchquert werden muss. Wenn nämlich die Anforderung einer eigenverantwortlichen seelischen Leistung in einem sozialen Raum nicht das Gesetz ist und letztendlich eine andere Instanz wie zur Bereinigung aller Probleme bereitsteht, kann das Seelische sich ganz arglos bestimmten Dingen und Entwicklungen zuwenden. So ist das in dem seelischen Entwicklungsraum zu denken, in dem die Beziehung des Kindes zu den Anforderungen aus dem dritten Entwicklungsraum in letzter Konsequenz immer noch über eine zentrale Bezugsperson geregelt wird. Hier stehen dann, wenn das arglose Verhalten scheitern sollte, auch spezifische Hilfsformen zur Verfügung. Es kann ja vorkommen, dass die Bezugsperson einmal nicht wie erforderlich zur Verfügung steht. Nehmen wir als Beispiel das arglose Spiel eines Zweijährigen mit einem Hund. Wenn der Hund eine Gefahr für das Kleine wird, kann es sich mit einem Mechanismus helfen, den Anna Freud die Identifizierung mit dem Angreifer genannt hat. Das Kind wird selbst zu dem gefährlichen Tier und bellt. Das kann für einen Augenblick helfen. Ein typisches Merkmal für die Gefahrenabwehr in diesem psychischem Abschnitt ist die aufschiebende Wirkung. Sobald die Bedingungen sich verbessert haben oder, um im Beispiel zu bleiben, die Mutter wieder auf den Plan tritt, können qualitativ verbesserte Lösungen, jetzt mit Hilfe der Mutter entwickelt oder angepeilt werden, die jetzt auch die Kehrseiten des Geschehens mit in Rechnung ziehen. Es gibt eine ganze Reihe Mechanismen oder Abwehrformen, mit denen sich das Seelische in diesem zweiten seelischen Raum zu helfen weiß. Anna Freud hat sich besonders um eine Erforschung dieser Formen bemüht, durch welche sich das Kleinkind zu helfen weiß, auch jenseits der reiferen und auf dem Niveau der Konfliktbearbeitung befindlichen Formen. Man könnte hier vielleicht von den präambivalenten Lösungsformen sprechen, weil sie nicht ihrem Wesen nach auf einer Einbeziehung ambivalenter Erfahrungen oder einer Konfliktbearbeitung fußen.
Die Verschiebung eines Affektes z.B., der vielleicht unangenehme Folgen mit sich bringen könnte, der aber auf einen anderen Punkt innerhalb einer Auseinandersetzung verschoben werden kann, stellt dagegen eine qualitativ reifere Lösung dar, weil sie schon auf der erahnten Gefährlichkeit und dem entsprechenden Kontakt mit den möglichen Folgen aufgebaut ist. Das Seelische ist dann schon in einem ahnungsvollen Kontakt mit dem, was eine Gefahr bedeuten könnte. Das ist z.B. der Fall, wenn ein Vater seine Verstimmtheit über den Säuglingsbeobachter im Haus in einer Beschimpfung des amerikanischen Präsidenten (Nixon) zum Ausdruck bringt, welcher ‘seine Nase in Dinge reinsteckt, die ihn nichts angehen‘ (W.E. Freud, Vortrag 1988). Die Verschiebung erlaubt dem Vater hier eine Abfuhr seines Ärgers, bewahrt ihn aber vor den unangenehmen Folgen, die der geäußerte Ärger hervorbringen könnte, sollte er an der richtigen Stelle zum Ausdruck kommen.
Wenn aber ein Kontakt zu der betreffenden Gefahr noch gar nicht besteht und die entsprechenden Vorerfahrungen für eine entsprechende Übertragung fehlen, so ist der Betroffene auf den Schutz der engen Bezugsperson angewiesen. Entweder schützt diese ihn nun kompensatorisch vor den entsprechenden Überforderungen oder aber sie steht ihm hierzu im Augenblick nicht zur Verfügung. Dann müssen auf jeden Fall die frühen Abwehrmechanismen helfen. Und das tun sie, in dem sie so etwas wie einen Aufschub für den Betroffenen herauszuholen versuchen. Ein Kind, das angesichts einer eigenen, folgenschweren Handlung durch ein bestimmtes Gefühl überflutet zu werden droht, könnte sich z.B. das „Ungeschehen machen“ als einen Abwehrmechanismus zu einer Art von „ersten Hilfe“ heranziehen: Das Kind begeht dann Handlungen, die magisch versuchen, das Geschehene außer Kraft zu setzen, indem es so tut, als sei das Betreffende gar nicht geschehen. Eine Mutter, die das mitbekommt, kann dann in einem nachsetzenden Schritt diese Lösungsversuche aufgreifen und dem Kind helfen, diese Verarbeitung zu korrigieren und eine weiterführende Verarbeitungsform hinzubekommen, die dem Realitätsprinzip besser gerecht wird.
In den letzten Jahren hat es besonders viele Arbeiten und Überlegungen zu den frühen Abwehrformen gegeben. Einen großen Verdienst hieran hat auch die Klein’sche Schule, die mit dem Mechanismus der frühen Objektspaltung z.B. und dem Mechanismus der projektiven Identifikation mit dazu beigetragen hat, die frühen Formen des Seelischen besser zu verstehen, die sich noch nicht auf die Ambivalenzerfahrung bzw. Konfliktfähigkeit stützen.