NDR4 Redezeit
Moderator Thomas Hestermann
mit den Studiogästen:
Bernd Uwe Stenzel von der Feuerwehr Hannover,
Diplom-Psychologe Werner Mikus, Psychotherapeut
Moderator
Guten Tag, willkommen zur Redezeit, am Mikrofon Thomas Hestermann und heute geht es um das Thema Schaulust bei Unfällen. Es ist ja schon eigenartig. Wenn es brennt oder auf der Straße gekracht hat dann sammeln sich überall blitzartig Schaulustige um die Unfallstelle wie Bienen um den Zuckerkuchen. Treibt sie schiere Neugier oder die Lust am Leid der anderen, oder Mitleid mit den Unfallopfern? Die Öffentlichkeit ist sich weitgehend einig in der Verurteilung der sogenannten Gaffer:
NDR4-Umfrage: – Ich bleib‘ (verlegenes Lachen auf dem letzten Wort) da eigentlich normalerweise nicht stehen, schon aus Prinzip eigentlich nicht, weil ich es – ich find es absolut affig wenn die Leute da stehen und gaffen mit so ungefähr herunterhängendem Kiefer und, und staunen – find ich einfach nur – kann ich nichts mit anfangen.
– Furchtbar ist das natürlich, die blockieren Hilfsmaßnahmen, ich find´s abscheulich, aber es is‘ wohl offenbar der menschliche Trieb, nich‘?
– Also ich hab da überhaupt kein Verständnis für – ich hab Verständnis dafür für Leute, die sich da versammeln um zu helfen oder um anderen zu helfen aber ich habe kein Verständnis dafür daß sich Leute da rumstehen und gaffen und auch noch alles Mögliche behindern.
– Wir finden’s immer entsetzlich. Wenn man – vor allen Dingen wenn man’s im Fernsehen sieht, nich‘! – es ist doch schlimm – nich‘? Um das Leid der andern nun so bewußt mitzukriegen – ne? des? aber der eine so – der andere so, nich‘!?
– Es gibt ja Leute, die spekulieren ja da, direkt darauf, wenn die – die eh – Feuerwehrsirene geht, hin! und dann hinterher nich‘? Die, die sind nicht ganz dicht, nich‘?
Moderator
Ja vielleicht gibts aber auch verständliche Gründe der Schaulust bei Unfällen. Darüber diskutieren wir heute bis um 12 hier in der NDR4-Redezeit. Die Experten im Studio sind Bernd Uwe Stenzel von der Feuerwehr Hannover, der viele Rettungseinsetzte mitgemacht hat und dabei auch mit Schaulustigen ins Gespräch kam und Werner Mikus, Diplom-Psychologe, Psychotherapeut aus Köln. Werner Mikus hat eine psychologische Forschungsarbeit über die Schaulust bei Unfällen begleitet und arbeitet mit am psychosozialen Forum in Köln, einem Zusammenschluß von Therapeuten, die zu Alltagsphänomenen forschen wie etwa der Schaulust.
Wenn sie sich in das Gespräch einschalten wollen, rufen sie uns an. Telefon 040 für Hamburg und dann 41617 oder 41618 – noch einmal 040 und dann die Nummern 41617 oder 41618. Wir rufen sie dann zurück, so daß es für sie nicht zu teuer wird.
Herr Stenzel, sie waren als Feuerwehrmann an vielen Unfallorten dabei, war diese Arbeit stets von Schaulustigen begleitet?
Stenzel
Ja, es ist also so, daß jeder Einsatz von Schaulustigen begleitet wird. Wir haben in unserem Arbeitsbereich, wenn wir zu Unfällen kommen haben wir immer doch einen Raum den wir haben müssen an Quadratmetern um zu reanimieren, um irgendwelche andere Dinge, die Verletzten zu versorgen und wir haben immer mit Schaulustigen zu tun, die uns eigentlich behindern.
Moderator
Wie sieht das ganz genau aus? Also kommen dann Leute ihnen wirklich in die Quere, drängen sie zum Unfallort ganz dicht ran, wie sieht das aus?
Stenzel
Es ist manchmal so verrückt, daß die wirklich fast an dem Verletzten dranstehen, so daß wir mit unserm Koffern, mit unseren Gerätschaften schon gar nicht mehr da den Bereich haben wo wir den abdecken können. Wir schieben sie dann zurück, die Polizei ist auch nicht immer da, so daß wir sagen können, so, nun helft uns mal, nun macht mal da so’n Bereich wo keiner mehr rein darf. Das wird sicherlich dann nachher in so ’ner Viertel Stunde passieren wenn dann die ersten Polizeiwagen da sind. Aber in der Regel ist die Behinderung sehr groß.
Moderator
Können sie denn mal ein Beispiel schildern bei denen ihnen Schaulustige ganz besonders aufgefallen sind.
Stenzel
Ja, ich hatte einen Verkehrsunfall – PKW gegen PKW. Da waren zwei kleine türkische Kinder – eh – gestorben, die sind also noch im Krankenwagen, im Rettungswagen gestorben. Der Rettungswagen, das ist ein großes Fahrzeug, der Krankenwagen ein kleines Fahrzeug, die waren gerade an der Einsatzstelle, da sind die Leute also an die Scheibe gegangen, haben sich die Nase plattgedrückt, sind noch mit dem Krankenwagen mitgelaufen die ersten fünf Meter, eh er dann auf Geschwindigkeit kam. Das hat mich schon sehr beeindruckt, daß doch da so dicht am Geschehen das passiert ist.
Moderator
Herr Mikus, Sie haben ja als Psychologe sich intensiv mit diesem Thema Schaulust befaßt, auch als Therapeut, was passiert denn da eigentlich bei den Schaulustigen, also in ihrem Innenleben, in ihrer Seelenwelt?
Mikus
Vielleicht nenn ich mal ein paar Äußerungen, die in den Interviews gemacht worden sind.
Moderator
…also sie haben ja eine Forschungsarbeit begleitet, muß man dazu noch sagen, also in denen eben Schaulustige gesprochen haben also über ihre Eindrücke.
Mikus
Ja, also es fährt den Betroffenen richtig in den Körper, das was da passiert. Also, sie sagen z.B. „Es war wie ein Schlag in den Magen“ oder „mir stand das Herz still“, „alles steht“, man fühlt sich starr, apathisch, völlig hilflos. Und die Zeit läuft auch ganz anders ab. Irgendwie ist es so, als wenn die Zeit stillsteht. Zugleich sind aber auch Erwartungen da, als ob eigentlich die Sache jetzt erst richtig losgehen würde, also Stillstand, Ruhe, Leere, aber doch irgendwie mehr – so befürchtet man gerade dann, daß gleich noch etwas Schlimmeres passieren könnte. Alles das hält einen fest.
Moderator
Aber der Vorwurf ist ja vielfach an Schaulustige, daß sie sich an dem Leid der Unfallopfer regelrecht weiden würden. Ist denn da was dran?
Mikus
Also das Thema ist ganz stark moralisch besetzt. Damit sag ich auch, so glaube ich, nichts Neues. Die Betroffenen, die erleben da etwas ganz anderes. Und deshalb möchte ich am liebsten hier schon etwas weiter ausholen. Ich mach vielleicht mal so eine Setzung und dann können wir das an einer anderen Stelle später noch was vertiefen:
Ich glaub´ jeder Mensch kennt zwei Seiten in seinem Handeln: Einmal gibt er seinem Tun immer wieder eine Richtung – irgendwas will er fertigbringen zum Beispiel jetzt, zu Mittag etwas kochen – zum anderen ist er aber auch ständig dabei, das was er gerade tut zu vertiefen und zwar in irgendeine andere Richtung. Vielleicht sind wir also gerade dabei ein Mittagessen vorzubereiten und dann fällt uns etwas ein, was mit dieser Zielsetzung nichts zu tun hat – vielleicht ein Besuch den wir am Nachmittag erhalten werden. Das mischt sich dann vertiefend in das konkrete zielgerichtete Handeln ein. Das Kochen bekommt eine ganz andere Färbung.
Wenn ein Unfall geschieht ist ebenfalls dieses Doppelte da, also das Zielgerichtete und das Vertiefende – aber beides jetzt in einer unheimlich zugespitzten Weise: Auf der einen Seite heißt es jetzt: Nichts ist wichtiger als Helfen! also das ist dieses „zielgerichtete Handeln“. Und dann gibt es die Herausforderung: Schau dir an, was in der Wirklichkeit alles drinsteckt, hier ist sie entfesselt vor deinen Augen. Also es zwingt uns zu zweierlei: Einerseits in diese entfesselte Wirklichkeit hineinzuschauen und zu sehen was in ihr alles drinsteckt. Und zum anderen: Zwingt es uns zum Eingreifen nach dem Motto: Nichts ist wichtiger als Helfen. Und genau beides spüren diejenigen, die in so ein Unfallgeschehen hineingeraten – also die Zaungäste wie ich sie lieber nenne. Bei diesem Wort liegt noch nicht die Bewertung mit drin, daß die etwas möglicherweise Verbotenes tun. Der Schaulustige hat, wie wir in den Interviews festgestellt haben immer auch eine Spur von schlechtem Gewissen. Er ist immer auch damit beschäftigt, sich zu fragen, ob er helfen muß oder nicht.
Moderator
Also ich hör da so raus, es gibt aus ihrer Sicht als Psychologe nicht im Grunde die Gaffer sondern die Schaulust, die wir eigentlich alle kennen.
Mikus
Ja, richtig! – ich denke, wir merken das im normalen Falle nicht. Wir würden das nicht Schaulust nennen: Wenn wir uns z.B. im Alltag mal mit Muße zurücklehnen ist das wenn wir so wollen eben auch Schaulust: Wir gucken plötzlich von ’ner ganz anderen Warte aus in das Leben rein.
Moderator
Dann noch mal die Frage an den Praktiker, Herr Stenzel, sie haben ja Unfälle vielfach miterlebt. War denn da ihr Eindruck, daß eben manche sofort helfen,. andere gleich weitergehen und daß es dann tatsächlich so diese dritte Gruppe gibt, die Leute, die wirklich gleich stehenbleiben und nur noch gucken?
Stenzel
Also wir stellen das schon fest, daß es da verschiedene Gaffer in Anführungszeichen gibt: Es gibt die, die da stehen, helfen wollen aber es sich nicht trauen. Wenn wir an der Einsatzstelle sind, in der Regel brauch‘ uns dann kein Schaulustiger mehr zu helfen. Es sei denn, daß wir sagen: bitte fassen sie mal mit an! Dann gibt es aber auch die Schaulustigen, die tatsächlich noch mal zum Auto zurückgehen, sich ihre Fotoapparat oder Videokamera holen und dieses ganze Geschehen festhalten. Wir stellen also seit ungefähr zwei, drei Jahren fest, daß die Schaulustigen, die das auch richtig festhalten in Fotoapparaten, daß die größer geworden ist.
Moderator
Das ist also die, die Deutung, also diese technisierte Schaulust, was steckt da denn dahinter?
Mikus
Ich glaub – das ist also ein neues Phänomen wie sie ja auch schon sagten. Ja – ich glaube, daß das ein Irrweg ist für denjenigen, der von diesem Unfallgeschehen jetzt irgendwie seelisch wirklich was haben will. Ich glaube aber wir müssen schon unterscheiden in zwei verschiedene Verarbeitungstypen: der eine steht seelisch auf schwachen Beinen. Er ist durch dieses Unfallgeschehen in der Einschätzung der Wirklichkeit, insgesamt und seiner eigenen Wirklichkeit, furchtbar verunsichert und muß jetzt, ganz viel Arbeit leisten, um das wieder zu stabilisieren und festzubekommen. Und das sieht man ihm dann auch an. Er steht wie alle Schauenden wie angewurzelt oder wie klebend da. Aber, was das Besondere ist: Er kann die Verfassung nicht wechseln, wenn Not am Mann ist und er gebraucht wird!! Den muß man wegtragen, nicht? ich glaub‘ das haben sie bestimmt auch schon erlebt und da darf auch der Feuerwehrmann keine Skrupel haben. Ein Arzt hat ja auch keine Skrupel, jemanden der ohnmächtig geworden ist, irgendwohin zu tragen,.ohne ihn nach seinem ausdrücklichen Willen zu fragen,
Moderator
Sie meinen, man müßte die Gaffer wegtragen.
Mikus
In manchen Fällen muß das so sein.
Moderator
Es ist ja nun doch die Frage, ist das eigentlich was ganz Normales, natürlich wird das ganz oft mit Moral behaftet, viele gaffen aber jeder schimpft auch auf die Gaffer, also steckt da so ne Moral drin. Warum eigentlich, ja warum ist das in unserem Bewußtsein so schlimm, hinzugucken?
Mikus
Darf ich da noch was ergänzen? Jetzt hab ich nämlich nur von demjenigen gesprochen, der auf schwachen Beinen steht – und dann geh ich auf ihre Frage ein. Das sind gar nicht so viele glaube ich. Also wir haben keine statistische Untersuchung gemacht, das wäre weiter mal zu untersuchen. Es gibt also viele Menschen, die, wenn sie in diese entfesselte Wirklichkeit blicken, verspüren was in der Wirklichkeit alles drin ist, mit der sie Tag für Tag ja umgehen. Also sie merken eigentlich jetzt, welche Riesen – sag ich jetzt mal so salopp – sie selber sind! Sie setzen sich ja ständig damit auseinander, sie haben ständig diese hunderte oder manchmal ja auch Tausend PS – wenn es ein LKW ist – unterm Hintern und auf´n kleinen Zehdruck bewegt sich das. Und wenn ich also in diese entfesselte Wirklichkeit schaue, Seh ich ja erst was da alles drin ist, was ich Tag für Tag leiste und was mit meiner Kultur Riesiges, Großartiges verbunden ist. Und dann will ich das auch spüren als MEINE Kultur und daß ich SELBST ein Teil davon bin. Und so erklärt sich auch warum man fast REINKRIECHEN möchte, warum das beglaubigt werden muß – warum das in den Körper reinfahren soll. Das ist nämlich SO UNFAßBAR, daß wir in einer so großen und mächtigen, und irgendwie doch von uns selbst geschaffenen Wirklichkeit leben.
Moderator
Also zugespitzt, der Triumph der Überlebenden
Mikus
Triumph? das geht so in Richtung Schadenfreude, ja? ist das richtig? Das höre ich so ein bißchen aus ihrer Frage heraus?
Moderator
Ja, ich hab‘ das so verstanden, daß sie eben sagen, also daß – naja, so die Schaulustigen – ja schon ihre eigene Stärke über – ihre Überlebensstärke darin spüren, daß da eben Leute schwach, blutend, verletzt auf der Straße liegen.
Mikus
Triumph, das hieße ja, daß man auf die Unterscheidung „dort das Elend, hier mein Glück“ abhebt. Der Schauende äußert sich zwar auf dem ersten Blick so ähnlich, wenn er z.B. sagt: „Gut, daß mir das nicht passiert ist“. Aber, wenn ich mich jetzt wieder auf die Tiefeninterviews beziehen darf, das hat etwas ganz anderes zu bedeuten. Dabei geht es um eine Erfahrung von Stärke, die sich auf etwas ganz anderes bezieht: Der Schauende erinnert sich, daß es in aller Regel ja funktioniert mit den Autos und mit all den Erfindungen unserer Kultur; der eine Fall -also der Unfall -ist doch kein Widerspruch!? Also im Grunde genommen spürt er wieder was er vielleicht nicht mehr so richtig spüren konnte. Also, zur Verdeutlichung: Wenn sie einen Partner haben, der ihnen sehr lieb und wert ist und der ist plötzlich weg, dann spüren sie das in diesem Moment doch vielleicht erst richtig, wie lieb und wichtig er ihnen ist. Also – was haben Schadenfreude und Triumphgefühl mit solchen tiefgreifenden Erfahrungen gemein, was können sie zu einem Verständnis beitragen???
Moderator
Auch da mal die Frage an Herrn Stenzel, also sie haben ja an Unfallorten häufig Schaulustige beobachtet, sie haben das ja auch, jetzt nicht als Wissenschaftler sondern als Praktiker dann nachher getan, daß sie mit Schaulustigen ins Gespräch gekommen sind, wie waren denn ihre Eindrücke, wie da die Menschen reagiert haben.
Stenzel
Also ich kann mich an einen ganz bestimmten Fall erinnern, da stand ein Vater mit zwei Kindern direkt vor einer Einsatzstelle, wo eine eingeklemmte Person in einem Autowrack gewesen ist. Schwerste Verletzungen der Mann. Er wurde dann innerhalb von zwanzig Minuten ausgeschnitten und die beiden Kinder die starrten nun, genauso wie der Vater auf dieses Geschehen. Anschließend hatte ich Zeit gehabt, habe ihn gefragt. Ich sage: Sagen sie mal, denken sie sich nichts dabei, haben sie nicht an ihre Kinder gedacht? Das hat der gar nicht wahrgenommen. Der hat also nur gestarrt, gebannt, geschaut, der hat nich an seine Kinder gedacht, wie die das nachher verkraften können oder sonstiges, irgendwann ist dann einmal ein Polizist gekommen, hat ihn dann in die zweite, dritte Reihe gedrängt, aber er selber sagte mir, ja, da hab ich nicht mehr dran gedacht – in dem Moment war das für mich so eine ja, Faszination, ich, das hat der vielleicht noch nicht mal böse, der hat sich nicht, sicherlich nich‘ in böser Absicht da hingestellt und einfach nur geschaut, denn behindert hat er ja nicht. Die Behinderung sind eigentlich weniger, denn wenn die Rettungskräfte vor Ort sind, dann gibt es ja keine Behinderung mehr. Er stand da eben einfach nur.
Moderator
Vielleicht können wir auf diese Frage gleich noch eingehen. Ich geb noch mal die Nummer durch, für alle NDR4-Hörer, die sich gern an diesem Gespräch beteiligen wollen, vielleicht eigene Erfahrungen vom Unfallort beisteuern wollen. Unsere Telefonnummer ist 040 für Hamburg und dann 41617 oder 41618 noch einmal, 040 und dann die Nummern 41617 oder 41618 und wir rufen sie dann auch gleich zurück.
Herr Mikus, das war nun grad‘ dieser konkrete Fall wenn auch Kinder dabei sind, meinen sie daß dann auch schaulustige Väter oder Mütter da besonders aufpassen sollten?
Mikus
Ja, das kommt ganz darauf an was da geschieht und wo das Kind sich grade befindet. Also das Beispiel was jetzt hier erzählt wurde, das wird wohl so gewesen sein, daß das fürs Kind überfordernd war und daß der Vater tatsächlich die Kontrolle verloren hatte. Ich sagte ja: Normalerweise kann der Schauende die Verfassung wechseln. Also, man braucht den nur anzutippen und zu sagen, komm helf‘ mal hier und dann tut der das auch. Es gibt aber auch welche, bei denen klappt das nicht. Und die können dann auch gefährdend sein, als Väer dann vielleicht auch gefährdend für ihre Kinder.
Und weil wir jetzt von Kindern reden: Wir sollten auch mal an was ganz anderes denken, was jetzt nicht mit den grausamen sondern mit den schönen Dingen zu tun hat: Ein Kind baut einen Turm und macht vielleicht am Ende boah!!! Wenn der Turm zusammenkracht macht es aber zwei bis dreimal boah! und ist begeistert. Da kann man auch was draus lernen. Das heißt nämlich: Was da eigentlich alles zusammengebracht ist in dem kleinen, zugespitzten Türmchen, das sehen wir so einfach eben nicht. Das ist was ganz Gewaltiges, was wir da ordnend in die Dinge hineingebracht haben. Und genau das sehen wir erst so richtig, wenn diese Ordnung mit Purzeln und Krachen auseinanderfällt.
Moderator
Also hör ich da raus, daß also auch ein Unfall für Kinder ein, ein wichtiges Lernerlebnis ist?
Mikus
Ja, die Kinder gehen da auch, in der Regel viel unkomplizierter mit um. Aber man kann das nicht verallgemeinern. Es kann ein Kind ja z.B. Opfer eines Mißbrauchs in der Familie sein und dann wird irgendein Ereignis im Zusammenhang mit einem Unfall z.B. zu einem Symbol für etwas ganz anderes und das läßt dann natürlich den Betroffenen ein Leben lang nicht mehr los.
Moderator
Ich hab so rausgehört, daß sie Herr Stenzel das anders sehen, also was man da Kindern zumuten soll bei Unfällen.
Stenzel
Also ich denke mal, daß ich meinem Kind z.B. nicht zumuten würde, in erster Reihe zu stehen und das alles so mitzukriegen was da abläuft. Denn es sind ja zum Teil wirklich schreckliche Dinge und das brauch‘ ein Kind noch nicht zu sehen, denn würde ich eigentlich als Vater darauf verzichten, meine eigene Befriedigung zu bekommen und würde sagen, komm her, wir gehen hier ganz schnell weg.
Moderator
Ich hab auch den Eindruck…
Mikus
Ich würd‘ das in diesem Beispiel auch so sehen, obwohl ich ja die Bilder vom Unfallort nicht kenne, ich hab da jetzt etwas von seinem Gesicht abgelesen, und das nehme ich auch ernst. Hier hätte man wohl das Kind nehmen sollen und sagen sollen, „so, das ist es jetzt nicht“.
Moderator
Also sie meinen es gibt dann schon ne Grenze auch so von menschlichem Leid was sich dann da zeigt, wo auf jeden Fall Kinder zu den Schaulustigen nicht dazugehören sollten.?
Mikus
Ja! So eine Grenze gibts bestimmt, aber wir machen es uns mit dem Verständnis der Kinderseele nicht nur in dieser Sache oft zu leicht.
Moderator
Wir haben jetzt die erste Hörerin am Telefon, Frau Fakt, Guten Morgen
Frau F.
Guten Morgen
Moderator
Haben sie selber mal Unfälle miterlebt?
Frau F.
Und ich bin sonst ja nicht so sehr für Psychologen aber in diesem Fall muß ich eigentlich uneingeschränkt, ziemlich uneingeschränkt sagen, daß er recht hat. Wenn ich also auch überm Kopf mir sage, daß man dann nicht stehen bleibt und nicht gafft. Im Übrigen find ich Gaffen eigentlich furchtbar negativ – also muß ich das schon mal anders benennen – und dann, dann bin ich natürlich genauso gezogen. Also wir hatten einen Unfall an einer Bahnschranke und da ist die Dame in die Luft geschleudert worden und dann bleibt man wirklich wie angewurzelt oder ich bleibe dann stehen. Und dann geht einiges durch´n Kopf. Und zwar das erste: das könntest morgen auch du sein. Also und dann rückt natürlich diese Wichtigkeit des Einkaufens, des Schaufensteranguckens oder was man auch immer tut rückt in ne ganz andere Wertigkeit.
Moderator
Wie haben sie sich denn verhalten? Sie haben dann schon auf das, genauer dann auch weiter verfolgt was passiert ist?
Frau F.
Ja, und dann kommt der Gedanke, jetzt mußt du helfen. Kannst du helfen? Kann man dann auch helfen, was kannst du tun? Das alles ist ja sekundenschnell, daß das durchgeht. Und die Angst natürlich davor, zu helfen, falsch zu helfen. Lieber gar nicht helfen. Und und und all die Dinge also das ist nicht nur negativ besetzt. Vielleicht gibt es ´n paar Auswüchse, daß man, daß einige Leute sagen, also ich guck gar nicht hin, die gehn weg. Aber wir wollen doch auch, daß man achtsamer wird und man hat auch genauso im Kopf, daß man denkt, wenn man´n Autounfall sieht: morgen kann dir auch ein Kind, du mußt viel achtsamer sein, wenn du rechts abbiegst oder so, das alles…
Moderator
Frau Fakt, wie haben sie sich denn verhalten bei diesem Unglück da?
Frau F.
Ich bin stehengeblieben, ich hab nicht geholfen, ich hatte Angst.
Moderator
Und wie haben sie sich dann im Nachhinein gefühlt, haben sie dann auch so gedacht oh! jetzt bin ich auch eine von den Schaulustigen gewesen?
Frau F.
Ne, hab ich nicht, weil ich das blöd mit dem Schaulustig. Das geht mir heuer noch durch den Kopf wenn ich da gehe dann sehe ich das immer noch, also das hat mich lang beschäftigt. Und das finde ich, das ist doch auch wichtig, daß man das, also ich finde man muß das nicht nur ne, was heißt schaulustig? soll ich weggehen und weggucken? nur weil ich weil ich denke das das kann nicht wahr sein. Das ist doch eine Realität da, die da geschieht.
Moderator
(Zustimmend) Vielen Dank, ja…
Mikus
Vielleicht kann ich das zur Gelegenheit nehmen, noch etwas anderes Wichtiges zu sagen: Die Beiden Verfassungen oder Haltungen, die man einnehmen kann: Helfen oder Schauen, die sind miteinander nicht vermischbar. Das ist etwas Tragisches an der Sache. Das heißt: wir brauchen beim Helfen ’nen klaren Kopf: Es ist also nichts wichtiger, als das Helfen, alles wird in seinen Dienst gestellt, auch die Psychologie und die Menschenkenntnis. Trost spenden z.B., den Kreislaufzusammenbruch verhindern und so was alles. Für den Schauenden ist das aber genau umgekehrt. Der darf sich gerade nicht in DIESE Dinge reinziehen lassen. Sonst kann er ja nicht diese Entfesselung FESTHALTEN, er würde sie so beseitigen. Da steht beseitigen eben kontra festhalten. Aber trotzdem könnte jede Seite die andere nutzen. So ergibt sich wohl auch gelegentlich die Möglichkeit, die Helfenden für das Schauen einzubeziehen – indem man sich z.B. nämlich den klaren Kopf der Helfenden zunutze macht: Man könnte doch, wenn ein solcher Helfer in der Nähe ist, auch hingehen und sich abzusichern versuchen, und fragen, ob man wirklich nicht gerade gebraucht wird. Aber das ist sicherlich nicht immer so einfach zu machen und möglich.
Moderator
Gut dann, dann bleiben wir erst mal bei diesem Konflikt also zwischen dem Helfen und dem Schauen. Wir haben jetzt Frau Beier am Telefon.
Frau B.
Guten Tag, mein Name ist Beier, ich rufe aus Husum an und ich würde gerne etwas zu dem sagen, was der Psychologe grade erwähnten, diesen Widerspruch oder den Zwiespalt des Einzelnen zwischen Helfen und Schauen. Wir hatten schon einmal ein sehr schreckliches Erlebnis, als wir um Mitternacht durch Schreie wachwurden und als erste vor das Nachbarhaus kamen und mit ansehen mußten, wie das Nachbarhaus in Flammen stand und wir wußten, daß zwei der Nachbarn noch im Haus waren und wir wußten auch, daß sie da nun sterben. Und die eine Frau nur, die überlebt hat kam raus und wir standen nun mit dieser einen Frau die zusehen mußte wie ihr Mann und ihr Sohn da drin starben und waren, ich muß schon sagen wie angewurzelt. Ich kann das nur bestätigen was vorher gesagt wurde. Wir konnten nicht helfen, wir konnten ja nicht in das brennende Haus gehen und wir konnten aber auch nicht weggehen. Man hätte nicht weggehen können, wir standen wirklich so lange bis nach drei Stunden etwa die Toten geborgen waren. Erst dann konnten wir weggehen von dieser Szene. Wir waren wirklich wie angeklebt. Und wir haben auch unsere Kinder geholt. Erstmal aus Angst, daß unser eigenes Haus vielleicht brennt und zum anderen auch, weil ich das Gefühl hatte, daß die Kinder auch daran teilnehmen müßten. Und ich wurde da auch bestärkt im Nachhinein als meine kleine Tochter, sie war damals acht, gesagt hatte, Mama, ich glaube das vergessen wir jetzt unser ganzes Leben nicht mehr.
Moderator
Was hatten sie denn dann selber für ein Gefühl in der Situation? War das so ne Hilflosigkeit oder was ging da bei ihnen..?
Frau B.
Ja, ich war durchaus zunächst in diesem Konflikt, ich wollte auch helfen. Als der Polizist z.B. ankam, als der erste Polizist ankam, als das Auto anfuhr war ich regelrecht erleichtert. Ich dachte, jetzt kommt endlich jemand und ich hatte große Hoffnungen in diesen Polizisten. Der sagte dann zu mir, holen sie mir Handtücher – ich holte Handtücher – er konnte natürlich mit diesen Handtüchern auch nicht mehr ins Haus gehen. Also ich hatte dann das Gefühl, ja eigentlich das Gefühl der absoluten Leere. So könnte ich das vielleicht beschreiben.
Moderator
Ja, danke – Da mal gleich die Frage auch an den Feuerwehrmann Herrn Stenzel. Wie ist denn das? sind denn da Schaulustige auch durchaus dazu zu bewegen, zu helfen, also wie Frau Beier es gerade geschildert hat? Sind da auch Schaulustige dazu dann bereit?
Stenzel
Also äußerst selten. Ich denke mal, daß überall da wo die Leute rauslaufen und die Feuerwehr reinläuft um zu retten, um zu löschen, kann ich erst mal grundsätzlich nicht zu jemand gehen und sagen, bitte, geh da jetzt rein. Erst mal hat er die Ausrüstung nicht, er hat die Bekleidung nicht, und so weiter. Sicherlich gibt’s Situationen, wo man ganz spontan vielleicht noch mal reingehen könnte in das Haus. Bis jetzt ist es einige male passiert, daß wir uns Passanten genommen haben mit der Bitte, helft uns mal, entweder Schläuche mit nach vorne zu bringen oder sonstiges, aber rein jetzt zur Rettung von Menschen kann man glaub ich das nicht von der Bevölkerung erwarten.
Moderator
Haben sie sich denn da auch öfter ne Abfuhr geholt? Daß dann Leute gesagt haben, wir haben hier son schönen Platz, wir wollen jetzt hier weiter gucken?
Stenzel
Das ist auch schon passiert, daß jemand gesagt hat, ne, mach ich nicht, komm ich nich‘. Ich meine, man muß auch das mit den Schaulustigen trennen. Ich trenne das in dem Schaulustige zugucken bei Unfällen, die nicht behindern, bei einem Feuerwehreinsatz z.B. wo ein unheimlicher Aufwand ist an Fahrzeugen, an Geräten, an Leuten, da behindern die Leute nicht. Da müssen die schon vom Umfang der Arbeiten her so wie so sich zurückziehen. Da explodieren Fensterscheiben, da fällt irgendwie ne Mauer um. Da zieht man sich sowieso schon zurück. Die, bei den Unfällen, die Schaulustigen, die stehen halt eben in den Bereich des Unfalles, obwohl die nicht immer behindern.
Moderator
Am Telefon begrüße ich jetzt Herrn Reichelt, guten Morgen!
Herr R.
Guten Morgen, ich habe noch wegen der einen Geschichte, wo der Vater mit den beiden Kindern da stand etwas zu sagen. Ich hatte vor dreißig Jahren mal selber Krankentransport mitgemacht als Fahrer. Und da ist ein Kind angefahren worden, lag auf’m Bürgersteig und die ganzen Kinder der Nachbarschaft waren drumrum und hockten und guckten sich an wie das Kind da lag und schrieh. Und die Erwachsenen im größeren Kreis drumrum und guckten genauso zu. Und wir hatten Mühe, zu sagen machen sie bitte Platz. Die gingen noch nicht mal beiseite, da mußten wir tatsächlich mit’m Ellbogen arbeiten und da wurde man noch angemacht hier „eieiei!!“. Und da haben wir gesagt, ja wir, wir müssen doch hier ran. Also das wollte ich nur sagen, daß ich das furchtbar schlimm fand.
Moderator
Also da ist eigentlich offensichtlich genau das passiert, was auch Herr Mikus gerade geschildert hat, das also Schauen und Helfen ganz schwer zusammenzubringen ist.
Herr R.
Ja, ja, das ist so, ich bin ja allein gewesen, wir waren damals, das war damals noch nicht mit Funk und so. Und da ist man allein gewesen und da hat man immer jemand gebeten, fassen sie mal bitte die Trage mit an. Und da hatte ich auch jemand erwischt, und ich ging dann vorweg. Aber die anderen, die waren kaum auseinanderzukriegen, die Leute. Man mußte richtig laut schreien, „Verdammt noch mal, jetzt lassen sich mich mal durch hier!“
Moderator
Wie waren dann die Reaktionen?
Herr R.
Ja, ja, ich sage ja, zwei Männer die motzten da nur rum: eieiei! ne? was soll das? Die waren so fasziniert von dem was da passiert ist, und waren noch nichtmals fähig, die Kinder da wegzunehmen, die um dieses schreiende Kind drumrum hockten.
Moderator
Ja
Herr R.
Ja
Moderator
Wir reden ja nun auch über ganz verschiedene Formen auch so des Schauens. Also was eben Frau Beier schilderte denk ich war ja eher so´n Beispiel dafür, daß ja das vielleicht nicht so ne Schaulust ist im Sinne von sich daran freuen sondern dran teilhaben, auch aus eigener Betroffenheit. Es gibt ja sicher auch so dieses, dieses Schauen, was sehr viel weiter weg ist (Herr B. wirf ein „Ja“ ein), Herr Mikus, da mal die Frage an den, an den Psychologen. Was – gibt es da auch ganz verschiedene Arten so der ja des Zuschauens?
Mikus
Ja, ich würde es vereinfachend so sehen, daß Menschen, die psychisch auf schwachen Beinen stehen, auch auf eine ihnen ganz besondere Weise verunsichert sind. Sie glauben, ganz viel anstellen zu müssen, um irgend etwas wieder geradezubiegen. Kennzeichnend hierfür ist ihre Mühe, angesichts des Unglücks eine glatte Erklärung hinzukriegen. Ich kann hierzu mal paar Bemerkungen aus den Interviews zitieren: also da wird z.B. gesagt. die Porschefahrer sind’s immer, die Mercedesfahrer, oder auch die Bonzen …
Moderator
Also daß man weiß wer also der Schuldige ist…
Mikus
Ja, man erklärt irgend etwas als schuldig – vielleicht heißt es z.B. „die Raserei“ ist es. Das heißt dann auch immer: Wenn die Menschen nur nicht dies oder jenes täten, dann würde soetwas auch nie passieren! Das heißt also: man sucht eine Art Heilsformel aufzustellen, die dann alles beruhigt. Das ist aber nicht so leicht zu beruhigen, was sich unserer Erfahrung dabei eben aufdrängt und will auch vielleicht gar nicht beruhigt werden. Diese entfesselte Wirklichkeit bezieht viel mehr und ganz anderes mit ein als nur das was man äußerlich sieht, ein Mensch in einem Auto eingeklemmt etwa. Da ist viel mehr innerlich angerührt und das wird überhaupt nicht beruhigt durch so eine einfache Formel etwa: „wenn man nicht rast dann passiert das nicht!“. Und je mehr diese Menschen spüren, daß sie das nicht wirklich beruhigt, um so mehr und verzweifelt drehen sie sich wie auf der Stelle – in ihrem Reklamieren und Anklagen. Also dieser Typus sucht unbedingt nach etwas das beruhigt und erklärt. Und diese Menschen sind es, die dann so unangenehm auffallen.
Moderator
In den USA werden Schaulustige Rubbernecks Gummihälse genannt, weil sie in ihren Bewegungen erstarren und nur noch den Blick wenden ja wie auf so´m Gummihals. Herr Stenzel, haben sie bei Unfällen das auch so beobachtet?
Stenzel
Ja, wir haben also Leute beobachtet, die wirklich starr, gebannt auf das Geschehen achten. Die kann man auch anrufen, die kann man eventuell auch andippsen, die stehen starr da und gucken auf das Geschehen. Die sind also vollkommen weggetreten. Und ich weiß nicht was in den Leuten vorgeht, was die sich… Die müssen ja eigentlich diesen Ablauf bekommen… Die können ja nicht nur starr rumstehen, sondern sie müssen ja sich was bei denken. Ehm – das stellen wir immer wieder fest, ja!
Moderator
Herr Mikus, ist das son Blick dann, ´n konzentrierter Blick auf den Unfall oder ist das vielleicht auch son Blick nach innen? Was passiert dabei eigentlich?
Mikus
Das ist vielleicht mit dem deutschen Wort Sprachlosigkeit ganz gut gesagt. Man ist sprachlos und wie gesagt, es ist einem regelrecht in den Körper gefahren. Aber! aus dieser Verfassung kann man sich doch wieder lösen – das ist wichtig. Da muß ich immer wieder drauf hinweisen. Und vielleicht können sie in ihrer Arbeit ja jetzt auch einmal mehr darauf achten – wenn sie den Einzelnen ganz konkret antippen, den Einzelnen direkt ansprechen und ihn nicht über ein Gruppe auffordern etwa nach dem Motto: „geht ihr mal weg!“ dann werden sie das feststellen können, daß er die Verfassung wechselt und Ihnen Folge leistet. Also zwei zusammen das ist mitunter schon zuviel, da ist der Schauende so wie geschützt. Es ist wie mit dem Schlafenden. Wenn man seinen Namen nennt wird der wach, obwohl er ja schläft. Das ist ein bekanntes Phänomen. Also man muß ihn eben schon ganz persönlich ansprechen um ihn aus dieser zugespitzt Verfassung herauszuholen.
Moderator
Haben sie damit Erfahrung gemacht, auch dann Schaulustige oder Zuschauer ganz gezielt anzusprechen?
Stenzel
Ja, wir haben schon ganz gezielt angesprochen: Bitte gehen sie zur Seite, bitte treten sie zurück! und die sind dann auch in der Regel alle zurückgegangen.
Moderator
Und waren dann auch mobilisierbar auch für Unterstützung da wo’s ging?
Stenzel
Wenn wir den Wunsch hatten und vorwiegend ist das bei jungen Leiten so. Junge Leute sind eher bereit, sich runterzuknien und da auch, sei es bei einem Autobahnunfall, da in der Böschung sich zu bewegen. Das stellen wir also immer wieder fest. Vielleicht auch durch die gute Ausbildung, die jetzt durch Führerschein, Erste-Hilfe-Ausbildung, daß also vorwiegend sehr viel junge Leute bereit sind mal mit anzufassen.
Moderator
Mich würde noch mal interessieren ob eigentlich diejenigen, die dann bei Unfällen stehen bleiben, auch dann länger zuschauen, ob das, eh, ob die sich in irgendeiner Weise von der Normalbevölkerung unterscheiden. Wie ist da so ihre Erfahrung? Sind das vielleicht tendenziell mehr Männer als Frauen, oder sieht man da eher diejenigen mit Schlips und Anzug als die im Blaumann? Gibt’s da irgendwelche Merkmale, die ihnen auffallen?
Stenzel
Eigentlich nicht. Die kommen aus, aus jeder Gattung. Da sind die Schlipsträger wie sie sagen, da sind junge Leute, da sind Frauen, da sind alte Leute, da sind Kinder, Kinder, etwas ältere Kinder, das ist ganz gemischt.
Moderator
Herr Mikus, wie ging ihnen das so bei ihrer Forschungsarbeit auch zur Schaulust, als Psychologe haben sie da so Rückschlüsse drauf gezogen, wer nun eigentlich auch stehenbleibt?
Mikus
Ne! Man kann da eigentlich nichts typisches sagen. Also ob die Frauen mehr oder weniger….
Moderator
Also es geht querbeet
Mikus
Ja, dafür war auch die Erhebung zu klein, um jetzt was zu sagen. Also wenn was aufgefallen wäre, wüßte ich’s jetzt. Also das packt alle. Ich kann ja noch mal was dazu sagen was solchen Erfahrungen auf der Zaungästeseite meistens voranging. Also, wie kommt es dazu, daß jemand bei einem Unfall, der ihm begegnet stehen bleibt, bzw. was ist vorher so gewesen? Gibt es da etwas Gemeinsames. Also wir haben festgestellt, daß diejenigen, die dann stehen bleiben und schauen, sich vorher in so einer Art Schwebezustand befinden. Das heißt also z.B. Sie plauschen gerade mit dem Nachbarn oder lernen so ein bißchen locker, also nicht so ganz was anstrengendes, vielleicht lesen sie zu Hause fürs Examen so etwas rum. Sie lesen entspannt ein Buch oder befinden sich in der Mittagspause – Es kann auch eine langweilige Routinefahrt sein, aus der heraus sie sich auf so etwas einlassen. Oder aber es sind gespannte Stimmungen, die dem vorausgehen: man ist auf dem Weg nach Hause und freut sich jemand anzutreffen. Also schon so eine vorbereitete Spannung auf etwas. Und dann erlebt man dieses Unglück wie eine plötzliche Steigerung, als wär‘ man irgendwie schon in Bereitschaft gewesen. Da gibt’s noch ne dritte Gruppe, die ganz selten stehen bleiben, das sind die Zielstrebigen. Also die wollen ganz schnell noch was erledigen und irgendwas hinter sich bringen. Wollen nach Hause. Haben eine anstrengende Autobahnfahrt hinter sich, den Wunsch nach Hause zu fahren und so weiter. Die sind dann verärgert, und die fahren dann auch meistens vorbei, ganz kurz und bündig. Also – und da haben wir also keine Unterschiede jetzt gefunden bei sagen wir mal Studierten oder nicht Studierten, Frauen, Männern usw.
Moderator
Und da haben also im Grunde, Herr Stenzel, sie auch nicht jetzt gesehen, aha, einige, die bleiben dann eher stehen, andere, sie haben dann nicht auch Gemeinsamkeiten festgestellt.
Stenzel
Nein, ham wir nicht. Ich denke mal da, überall wo´s kracht, wo was los ist, wo rote Autos, wo gelbe Autos, wo Sirenen heulen ist der Mensch schon fasziniert, da muß jetzt was los sein. Es gibt genügend Unfälle, kleinere Unfälle wo nichts los ist, wo nicht so viele Schaulustige da sind. Und immer dann wenn ein großes Brimborium von Fahrzeugen, an Action ist, das fasziniert die Leute natürlich. Ich meine das noch nicht mal, daß die das böse meinen. Sie wollen gucken: wie ist vielleicht unsere Feuerwehr, wie läuft das ab. Ehm, tja, damit muß man eigentlich leben.
Moderator
Ich geb noch mal die Nummer durch, für Hörer, die sich in das Gespräch einschalten wollen, auch sich hier beteiligen, unsere Nummer ist 0490 für Hamburg und dann 41617 oder 41618, noch einmal also 040 die Vorwahl und dann 41617 oder 41618. Wir rufen sie dann sofort zurück. Nun gibt es ja in den Medien, in den Nachrichtensendungen so ne Steigerung auch der Gewalt, also daß zumal gewalttätige Szenen heute inflationärer gehandelt werden als früher. Ist es eigentlich bei den Unfällen auch zu beobachten, daß es da so ne Sucht gibt, also daß sagen wir die Aufmerksamkeit steigt, wenn es – ja besonders viel Blut geflossen ist, wenn besonders viele Scherben und Splitter auf der Straße liegen?
Stenzel
Das stellen wir schon fest. Ich bin eigentlich so, wenn ich jemand schreien höre, der wirklich Schmerzen hat, der verunfallt ist, der schwerste Verletzungen aufweist, außer von meinem Beruf her ist das ja nicht ein schönes Ereignis. Das schockiert mich, das, das packt mich, ehm – weil da ein Mensch leidet. Es gibt tatsächlich Leute, die, denen das scheinbar nichts ausmacht, die weder also wenn die Leute eingeklemmt sind in Fahrzeugen und schreien oder Fenstersprung, oder ne Wasserleiche, egal was für Einsätze das sind, gibt es Leute, was mich eigentlich immer wieder wundert. Weil eigentlich kriegt man doch denn doch irgend wie mal son, son son Brechgefühl. Man, man fühlt sich schlecht wenn man irgendwie son ganz schlimmen Unfall sieht. Ehm, aber Leute, die das wohl höchstwahrscheinlich abkönnen sind eigentlich immer da.
Moderator
Also ich hör so raus, daß sie ja dann auch hingucken. Also wir hatten ja eben so die Frage: kann man eigentlich wirklich noch gucken wenn man, wenn man hilft? Also sie sehen schon was da passiert.
Stenzel
Wir gucken schon. Wir haben ja ganz bestimmte Abläufe und wir haben immer Zeit, das heißt Zeit in Anführungsstrichen gesehen, ich Seh ja die Leute, wenn sie mich behindern schau ich sie an, schreie sie an: Treten sie zurück! und man macht denn doch schon mal so seinen Blick in die Runde und sieht die vielen Menschen, die da stehen. Komischer Weise, bis dato war niemand da und auf einmal, innerhalb von drei vier Minuten sind hundert da.
Moderator
Herr Mikus, gibt’s da so ne Steigerung auch der Schaulust – je schlimmer desto stärker?
Mikus
Also zunächst noch mal etwas zur Äußerung des Herrn Stenzel. Also, er schaut im Sinne seiner Aufgabe, er schaut wie der Helfende in die Sache hinein, ja!? – also nicht wie der Schaulustige – Er darf sich also nicht auf die entfesselten Dinge in einer schauenden Weise einlassen, das wäre nicht richtig für seinen Job.
Also diese Steigerung – da will ich lieber erst allgemein noch etwas zu sagen. Ich glaube unsere Zeit, der liegt es ganz besonders stark an der Beseitigung von Unglück. Also das ist eine sehr starke Komponente in unserem kulturellen Alltag heute. Wenn wir ehrlich sind, wollen wir aber unser Leben doch nicht nur verlängern, sonder doch auch vertiefen, ja? Und diese andere Seite, daß Leben ja immer auch sich vertiefen will, die kommt meines Erachtens irgendwie heute son bißchen zu kurz. Es gibt schon so einen Hang zur heilen Welt, beinahe eine Art Faszination am Beseitigen, also am Beseitigen von Unglück, das wollen wir immer mehr noch und besser können. Und das wär‘ dann auch eine Antwort auf ihre Frage. Aber ich glaub, die Chancen werden doch größer, auch dieses „Vertiefen“ wieder mehr als etwas menschlich Notwendiges zu sehen – ich merke das auch an den Beiträgen der Hörer, die bisher angerufen haben: Wir wollen das Leben eben nicht nur verlängern sondern auch vertiefen und sind bereit, hierzu auch etwas großzügiger zu werden, und uns vielleicht auch mal ein bißchen verwirren zu lassen.
Ich glaub das ist auch wichtig für unsere Sendung hier. Wollen wir vielleicht hier jetzt jemanden an den Pranger stellen, also wieder Abhilfe schaffen, tolle Probleme aus der Welt schaffen, also auch so eine Art Heldentum hier in dieser Sendung – oder wollen wir auch hier einmal so einer Art Schaulust etwas Raum greifen lassen. Also das heißt: wollen wir uns auch hier mal ein bißchen verwirren lassen, und riskieren, auch mal ein bißchen durcheinander zu geraten, so wie das ja auch an einem Unfallort der Fall ist ? Und das ist auch mein Anliegen hier, dazu beizutragen, daß so etwas vielleicht auch mal in einem solchen Rahmen möglich ist.
Moderator
Also ich hör so raus, soweit Hilfe nicht behindert wird, ist Schaulust auch wichtig, also daß ich mich irritieren lasse, daß ich auch gucke was, was eben völlig anderes passieren kann.
Mikus
Ja, das ist aber ne Setzung von mir, von meiner Art Liebe zur Welt, also das ist eine Setzung, die eine Kultur machen muß oder jeder für sich.
Moderator
Also sie meinen, was für sie jetzt richtig ist, könnte für jemand anders dann eben…
Mikus
Ja, ich könnte mir irgendeine Diktatur vorstellen, die uns sagt: alles was übel ist, alles was böse und was negativ ist, was den Menschen also allgemein als schwach zeigt – und das ist beim Unfall zumindest ja doch vordergründig der Fall – das muß weggebügelt werden. Das ist ja in den ideologisch beherrschten Staaten so: Mißerfolge und Schlappen müssen für die Öffentlichkeit weggelogen werden.
Moderator
Am Telefon haben wir jetzt Herrn Peters, guten Tag!
Herr P.
Guten Tag, Peters, Hamburg. Ich hab mal eine Frage an den Psychologen. Kann man sich dies Gaffen bewußt aberziehen? Also einfach zu sagen: Gut es hat jetzt irgendwie gekracht und so aber ich geh‘ da nicht hin, ich geh weiter und mach meine Sachen ganz normal. Also nich‘ irgendwie sich da mit in den Bann ziehen zu lassen.
Mikus
Also, ich finde, wenn sie so fragen, haben sie wahrscheinlich Bedenken, gegen ihre Art des Zuschauens, ja!? Dann würde ich ihnen nämlich empfehlen, sich vielleicht einmal nur zu beobachten wenn sie in einer solchen Situation sind – also bei der nächsten Gelegenheit (leichtes Lachen auf beiden Seiten), um mal zu gucken, ob das so ist wie ich es für den Fall, des auf psychisch schwachen Beinen stehenden hier beschrieben habe. Beobachten sie sich mal darauf hin, ob sie in solchen Situationen vielleicht dann auch nicht mehr zu beruhigen sind und hilflos nach etwas Vereinfachendem suchen, also nach einer alles klärenden Formel. Und wenn sie feststellen, daß es tatsächlich so abläuft, dann würde ich ihnen sagen, gönnen sie sich mal eine psychologische Hilfe. Ihre Ab-Erziehungsversuche helfen dann nicht viel. Sie sollten sich in diesem Falle dann etwas Luxeriöseres leisten für ihre Seele (Hörer erwidert mit zurückhaltenden aber zustimmenden Lauten).
Das muß ja jetzt nicht eine heilkundlich ausgerichtete Psychotherapie sein – ich weiß nämlich nicht, ob ihr Problem nun überhaupt den dafür erforderlichen sogenannten Krankheitswert hat. Es gibt aber noch eine ganze Reihe anderer seriöser Möglichkeiten, sich mit seiner psychischen Wirklichkeit zu beschäftigen und sich zugleich professionell dabei helfen zu lassen. (Hörer sagt Ja und o.k.). Ja? Bitteschön.
Herr P.
Danke!
Moderator
Ja, das ist also die Frage, sollte man sich das Verkneifen, Herr Stenzel, würden sie sich das wünschen, daß Schaulustige prinzipiell wegbleiben würden bei Unfällen?
Stenzel
Also, so lange wie sie uns nicht bei der Arbeit behindern – ehm – kann ich Schaulustige zulassen, denn irgendwo ist da auch eine Information. Vielleicht der ein oder andere lernt dadraus. Das gibt es ja sicherlich auch, daß wenn bei einem Verkehrsunfall ganz bestimmte Dinge mißachtet worden sind, daß der Schaulustige sagt: Oh mein lieber Mann, da muß ich das nächste mal mal drauf achten. Ich sage immer so von den Einsatzkräften her: solange sie nicht behindern, könne wir mit Schaulustigen leben.
Moderator
Am Telefon haben wir jetzt Frau Vogtländer.
Frau V.:
Ja, hallo!
Moderator
Guten Tag!
Frau V.:
Guten Tag, also ich möchte mal einen positiven Aspekt ins Gespräch bringen wie ich also auch Schaulustige erlebt habe. Ich hatte also einen Unfall – allerdings nur mit Blechschaden – aber, ich bin trotzdem immer sehr aufgeregt. Und wenn ich dann also aussteige und es stehen da einige Menschen, die ich ansprechen kann, was ich auch meistens gleich mache, dann nimmt mir das son bißchen den Schock und die Angst. Und ich bin eigentlich mal sehr dankbar gewesen bis jetzt, wenn also nicht die Türen und Fenster geschlossen bleiben und daß es in einer Ortschaft passiert, sondern wie die Leute auf die Straße kommen und gucken und sagen, ach ich rufe gleich mal an, mir hat das also immer sehr gut getan, bevor jetzt Polizei oder was vor Ort war, daß ich mit jemand sprechen konnte. Und wenn also Schaulustige in der Art auftreten, kann es auch positiv sein.
Moderator
War denn das so ihre Erfahrung, ham die Leute darauf so reagiert?
Frau V.:
Ja! das war bis jetzt, also ich habe einige Blechschäden schon gehabt, also ich war nicht der Verursacher meistens. Aber das waren für mich immer doch aufregende Situationen und die Menschen haben so reagiert, wenn ich die also angesprochen hab oder sie haben mich angesprochen, das hat immer sehr gut getan.
Mikus
Ja, ich hör da raus, daß die Menschen, die da einfach nur dabeistehen, dem Betroffenen besser zurückspielen, daß da ein ganzer Mensch steht (Zustimmung v. Hörerin) dem etwas zugestoßen ist und nicht nur jemand, der verunfallt ist, der rein technisch jetzt ein Problem darstellt (Zustimmung).
Moderator
Frau Vogtländer, gab’s dann da auch verschiedene Reaktionen, daß sagen wir mal einige dann bereitwillig geholfen haben, andere aber auch dann einfach nur geguckt haben?
Frau V.:
Ja, das natürlich! Also es gibt immer einige, die son bißchen in Entfernung stehen bleiben und einige, die direkt rankommen und vielleicht fragen, ach wie ist denn das passiert, oder ist ihnen was passiert oder so? Also ich hab das immer sehr positiv immer empfunden.
Moderator
Ja! Vielen Dank, dann haben wir Herrn Rasch, guten Tag!
Herr R.
Guten Tag – ich wollte einfach eins mal zu sagen wissen sie ich finde die Tatsache dessen, daß wir, wir sind ja so sehr hier auf Verkehrsunfälle fixiert. Ich finde diese gesamten Ereignisse sind also sehr wichtig. Bis in eine Wertigkeit in – ja die täglichen Gefahren reinzudringen, denen man sich eigentlich im technischen Leben sich immer aussetzt.
Moderator
Ich hör da raus, daß Schaulust auch sagen wir mal ’nen wichtigen …
Herr R.
Das ist was Positives – auch, kann es jedenfalls sein wenn es dann richtig gesteuert wird. Ich hab’s ja auch vorhin gehört wie einige von den Vorrednern, die ja wahrscheinlich eben aus Feuerwehrkreisen oder sowas kommen die sagen also, da sind auch Leute, die da also – wenn da keine Behinderung da ist da nicht gegen einzuwenden. Also ich finde diese, diese Wertigkeit, daß man sich so hinstellt: ach die anderen…- ich finde es ist schon ein Informationsbedürfnis des Menschen, der sich bewußt macht in welchen, ja, entsetzlichen Gefahren er doch an sich täglich sein kann!
Moderator
Nun berichten ja Schaulustige oft, hinterher, daß sie im Grunde auch son bißchen schlechtes Gewissen hatten, daß sie stehen geblieben sind. Herr Rasch, geht ihnen denn das anders?
Herr R.
Nnnnneh, das würd‘ ich nicht, also ehm, ich muß sagen, also die die diese Tatsache – ich hab so was mal, bin mal an, an vorbei gefahren als ein, ein Haus so fast explodierte auf der Autobahn, das war mitten am Tag, Brand und so, ich hab also nicht im geringsten ´n schlechtes Gewissen. Ich wußte da sind, müssen Leute dabei sein, die sowie so sich irgendwo drum kümmern, helfender Art oder so und ein anderen Unfall an sich wo ich konkret dabei war ist mir eigentlich nicht bewußt gewesen bisher. Und ich würd’s also glaub ich wirklich auch so machen, daß ich also jedem Menschen die da hinkommen und wirklich helfend eingreifen, daß ich da immer Platz mache und so, das ist irgendwie eigentlich selbstverständlich.
Moderator
Ja, vielen Dank, da haben wir Frau Müller
Frau M.
Ja, ich wollte von einem eigenen Erlebnis erzählen als ich von über einem Badeunfall dazukam und gar nicht realisieren konnte, daß es sich um einen Unfall handelte und daß ich jetzt helfen mußte. Also so, weil ich unbeteiligt am Strand entlangging und es badeten drei Kinder und die schriehen und tobten da an einer Buhne herum. Aber sie konnten nicht wieder zurückkommen und eh ich das – also das hat mich wirklich erschreckt, wie lange es für mich dauerte, daß ich das sehen konnte, so.
Moderator
Also das hat der Herr Mikus, also Psychologe auch vorhin schon mal kurz geschildert, daß man im Grunde so erstarrt dabei, daß die Zeit stehenzubleiben scheint. Das haben sie auch so empfunden.
Frau M.
Ja und ich mein das eben allgemein, daß es doch wichtig ist, seine Umwelt aufmerksam zu beobachten und schon dann auch die außergewöhnlichen Situationen wenn sie einem als Unfall entgegenkommen auch zu sehen mal.
Moderator
Also sie waren da son ein bißchen unzufrieden mit sich, hör ich da raus!?
Frau M.
Ja, daß es so lange dauerte bis ich jetzt verstanden hab, daß es jetzt ernst war und daß ich da in das Wasser mußte und die Kinder, also den Kindern zu Hilfe kommen mußte.
Moderator
Das haben sie dann aber getan?
Frau M.
Ja, aber viele von den anderen Menschen, die am Strand entlang gingen, waren nicht bereit, mir zu helfen dann. Also ich sagte: Kommen sie doch mit rein, die Kinder sind in Not, das ist ernst. Aber also es war dann niemand bereit.
Moderator
Ja vielen Dank Frau Müller! Wir gehen noch mal auf einen Punkt eingehen, der eben hier von Herrn Rasch ins Gespräch geworfen wurde also dieses schlechte oder eben auch nicht das schlechte Gewissen. Die Frage war ja vom Anfang noch offen geblieben eigentlich warum unsere Gesellschaft so die Gaffer also auch mit diesem Wort schon an den Pranger stellt. Warum nenn wir sie nicht einfach Zuschauer oder Seher oder Schauer oder Gucker?
Mikus
Schauende oder Zaungäste würd“ ich vorschlagen
Moderator
Gut, Zaungäste. Herr Mikus, haben sie da ’ne Erklärung dafür, warum wir uns so distanzieren von ja von dem Gaffen?
Mikus
Also ich glaube zunächst mal müssen sie sich das so vorstellen: Das Helfen hat irgendwie zunächst einmal immer die Priorität. Und das gilt auch in der öffentlichen Meinung so. Wenn jetzt einer nur schaut und wie angewurzelt dasteht, dann sieht das von dieser Warte her – also von der Prioritätensetzung „es muß geholfen werden“ – so aus, als sei der Schauende jetzt selber verunfallt, als wär‘ der jetzt vielleicht von seinem Trieb, der Schaulust etwa, überfahren worden! Und das wäre ja auch was Schreckliches für das Opfer. Also stellen wir uns das mal vor: Da ist etwas passiert, und jetzt wird der, der vielleicht helfen könnte, auch noch überfahren und zwar von irgendeiner menschlichen Schwachheit ja?! Also erst mal: Es ist also schon verständlich, daß man so eine Emotion gegen den Schauenden entwickeln kann. Diese Emotion ist aber immer gekoppelt an eine völlig überzogene Haltung in Richtung „es muß geholfen werden“. – sobald sich diese Haltung etwas auflockert sieht das schon ganz anders aus.
Also ich glaube daß diese Haltung bzw. Moral mit einer Setzung unserer Kultur zu tun hat: Wir wollen uns nämlich als Menschen verstehen, die alles einfach immer toller hinkriegen, denen es um ein „immer besser“ und“immer heiler“ geht, und darum, daß das Ganze obendrein auch noch ganz ohne Nebenwirkungen abgeht.
Moderator
Da vielleicht noch mal die Frage an Herrn Stenzel von der Feuerwehr Hannover. Als anfang dieses Jahres in Köln das große Weihnachtshochwasser war und auch da viele Schaulustige das Wasser säumten, haben einige Politiker auch bis hin zum Bundestag gefordert, Schaulustige festzunehmen oder ihnen dann Spaten und Sandsack in die Hand zu drücken. Oder der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses hat sogar gefordert, wer die Aufgaben des Katastrophenschutzes behindert und damit Menschenleben gefährdet der muß festgenommen werden. Halten sie das, also so ein Gesetz gegen die Schaulust, halten sie das für möglich Herr Stenzel?
Moderator
Also ich denke, das ist möglich, daß man eine Behinderung oder einen Schaulustigen, der absichtlich wegguckt auch in irgendeiner Form gesetzlich belangen müßte. Denken sie an München, an das Olympiadorf, da sind vier Kinder ertrunken, der Teich war nur ein Meter tief, 150 Erwachsene standen rum, drumrum, gafften, in dieser Beziehung gafften sie wirklich und keiner hat den Mut gehabt, in dieses 1Metertiefe Wasser zu gehen – die Kinder sind ertrunken im Winter. Da denk ich schon wäre es mal sehr schön, wenn Personalien festgestellt werden und ganz gezielt gesagt werden, so du hättest die Möglichkeit gehabt, diese Kinder zu retten und jetzt müssen wir uns was einfallen lassen.
Moderator
Läuft das denn nicht darauf hinaus, daß dann an so einem Unfallort dann vielleicht zehn Retter sind und hundert Polizisten dann dasein müßten um dann die ganzen Schaulustigen abzuführen oder die Personalien festzustellen?
Stenzel
Ja gut, das kriegen wir nie hin. Die Polizei, die ist in Personalnot, ich denk auch nur, das können ganz bestimmte Situationen sein, wo man wirklich jemand, der behindert und wo Polizei an der Einsatzstelle ist, ausreichend Polizei, daß die ganz gezielt denjenigen die Personalien feststellen und da das zur Anzeige bringen. Das kann man so nicht verallgemeinern, wir ham die Leute nicht. Die Feuerwehr hat sie nicht, die Polizei hat sie nicht. Es kann nur mal ganz gezielt an irgendeinem, jedem Unfall bei Behinderung das geschehen.
Moderator
Herr Mikus, könnten sie sich das vorstellen, das Gesetz gegen die Schaulust?
Mikus
Ich bin mir nicht sicher, ob die Gesetze nicht hierzu schon ausreichen. Natürlich brauchen sie Instrumente, und eine technische Ausrüstung reicht sicherlich nicht. Sie brauchen bestimmt auch gesetzliche Instrumente. Aber wir erwarten doch meistens zu viel davon. Ich glaub das haben sie auch schon selbst gesagt, vieles läßt sich einfach nicht machen – aus Prinzip nicht. So, nach völligem Belieben läßt sich die Wirklichkeit eben nicht zurechtmachen, die Machbarkeit hat ihre Grenzen. Auch das lehrt uns natürlich der Blick in die entfesselte Wirklichkeit.
Moderator
Jetzt haben wir noch ’n Hörer dabei, Herrn Burkhard, guten Tag! Haben sie selber Unfälle miterlebt, haben sie da eigene Erfahrungen?
Herr B.
Ich Hab zwar ne Ausbildung als Technisches Hilfswerkhelfer so aber ich bin noch nicht in die Verlegenheit gekommen das auch anzuwenden. Und was ich eigentlich ansprechen wollte ist, daß wir ja eigentlich in so ’ner Konkurrenzgesellschaft leben wo wir eigentlich so – oder es fehlt so ne Gemeinschaft. Und durch so einen Unfall wird mit einem Mal die Konkurrenz aufgehoben, und es entsteht ne Notsituation, die irgendwo ne Gemeinschaft schafft würd‘ ich mal sagen. Das heißt also, alle bleiben stehen, der Porschefahrer und der VW-Fahrer und sind eigentlich irgendwie alle gleich.
Moderator
Also das ist ja ’nen interessanter Aspekt, ob die Schaulust so zusammenschweißt.
Herr B.
Die schweißt…Also das ist… wenn man so auf Freunde hört so, die eigentlich auch bewußt son Stau irgendwie miterleben wollen, um einfach irgendwo dabeizusein so, (Moderator Ja, Herr Mikus …) daß sie alle gleich sind irgendwie.
Moderator
Ja da mal wieder die Frage an den, an den Psychologen. Halten sie das für möglich, daß wirklich da was Gemeinsames passiert.
Mikus
Richtig. Wir erfahren ja ohnehin bei einem solchen Ereignis, daß in der Wirklichkeit viel mehr drinsteckt als wir vielleicht gerade noch gedacht haben. Das heißt wir kommen in so eine Art „universale Erfahrung“ hinein und dazu paßt es dann gut, daß wir uns mit ganz verschiedenen Leuten – Leuten, mit denen wir uns sonst vielleicht gar nicht gerne zusammen irgendwo hinstellen würden – über diese allgemeine Erfahrung eben ganz stark verbunden fühlen.
Moderator
Jetzt haben wir noch ne weitere Hörerin, Frau Priebe?
Frau P.
Ja, guten Tag!
Moderator
Ja, haben sie eigene Erfahrungen gemacht mit dem Zuschauen, mit dem, mit Unfällen?
Frau P.
Ja, genau, ich habe zweimal eigene Erfahrungen gemacht, also einmal in meinem eigenen Fall. Ich möchte aber noch was zu den Schaulustigen sagen: Keine Schaulustige (das Wort klingt bei ihr wie „Showlustige“) heißt ja unter Umständen auch gar keine Hilfe, nicht. Ich mein wenn keiner da ist, und dann könnte es ja doch sein, daß der eine oder andere sich erbarmen würde, eventuell. Ein Fall, vielleicht ganz kurz – mein eigener Sohn ist überfahren worden mit acht Jahren, bei uns in der Straße und ich telefonierte gerade mit meiner Schwester, deren Kind auch schon überfahren wurde und praktisch tödlich verunglückt ist. Und in dem Moment also erfuhr ich, daß meiner auch dort liegt und da bin natürlich, stand ich irgendwie unter doppelter psychologischer Wirkung. Bin dennoch ins Auto gesprungen, bin die hundert Meter runter gefahren, um das Kind möglicherweise selbst zu retten weil ich dachte, der Krankenwagen kommt vielleicht nicht rechtzeitig oder so. Habe das Kind dann aber natürlich vom Krankenwagen gut versorgt gesehen – hab alles im Unterbewußtsein mitbekommen, auch, daß der Fahrer z.B. – das war zudem noch ein guter Bekannter von uns – das konnt‘ ich in dem Moment gar nicht verstehen, daß de meinen Sohn überfährt, Gott sei Dank ist nicht so viel passiert.(in den Schluß des Satzes fragt der Moderator hinein – beide gleichzeitig) muß ich gleich dabei sagen
Moderator
Das hat er ja wohl nicht absichtlich gemacht?
Frau P.
Nein, natürlich nicht, der war natürlich unter Schock auch, ich wollte sagen: der saß unter Schock im Auto und rauchte seelenruhig seine Zigarette. Es sah aus, als sei er unbeteiligt, aber er stand total unter Schock. Das wollt ich dazu sagen. Und als ich dann endlich meinen Sohn gut untergebracht sah im Krankenhaus, dann kam eigentlich bei mir erst der Schock. Daß ich wirklich mehrere Stunden im Bett gelegen habe total gelähmt.
Moderator
Haben sie denn dabei damals diese Schaulustigen, oder die Zuschauer, die Zaungäste…
Frau P.
Ja, ja, die hab ich gesehen. Da standen natürlich alle Kinder herum weil er mit Spielkameraden gespielt hat und war über die Straße gelaufen und die anderen sind Gott sei Dank gut davongekommen. Und die standen alle drumherum und machten einen großen Kreis, also einen kleinen Kreis sozusagen. Und als ich kam öffnete sich dieser Kreis, weil ich sprang ja aus dem Auto raus weil ich dachte ich könnte ihn sofort einstecken und mitnehmen, nich‘?!
Moderator
Frau Priebe, wir haben ja heute vormittag ganz verschiedene Hörerreaktionen gehabt, daß die einen gesagt haben, das hat auch was Positives, der andere Hörer sagt, er würde sich das gern abgewöhnen das das Zuschauen. Wie war denn jetzt ihr Gefühl auch zu diesen Zuschauenden?
Frau P.
Ich muß sagen, dadurch, daß natürlich in unserer Straße war, waren das ja auch irgendwie bekannte Gesichter für mich und letztlich hätte ich mir doch irgendwie Hilfe davon versprochen wenn mir keine Hilfe zuteil geworden wäre – sag ich jetzt mal.
Moderator
Also sie haben’s als eher positiv erlebt.
Frau P. Unter Schock, irgendwo im Hintergrund dennoch positiv, denk ich mal. Andererseits, daß dieser andere Fall, vielleicht kann ich den auch noch kurz schildern. Da fuhr ich mit dem Auto. Drei Fahrspuren, ein Junge steht rechts am Strand eh, am Straßenrand mit seinem Fahrrad und die selbe Situation irgendwie wie bei meinem Sohn. Er fuhr gleich rüber und landete auf einem anderen Wagen auf der Kühlerhaube – alle Autos fuhren weiter, der Junge fiel auf die Straße. Keiner hielt an, nur ich hielt an, vielleicht durch diese Situation, ich hätt’s auch glaub ich sowieso gemacht, ich weiß nicht, ich hoffe mal. Und erst als die Polizei kam, da wurde der Verkehr geregelt. Alle fuhren auf ihren Spuren einfach weiter. Ich bin rechts ran und bin zu dem Jungen, keiner hat geholfen. Auch da – saß der Fahrer und rauchte seine Zigarette – also die gleiche Situation.
Moderator
Vielen Dank Frau Priebe (Bitte). Noch mal abschließend hier die Frage an Herrn Mikus Was würden sie sich wünschen, wie Leute reagieren wenn sie’n Unfall sehen.
Mikus
Ich denke, daß sich erst mal jeder selbst beobachten sollte, und schauen sollte was da bei ihm in einer solchen Situation abläuft. Und wenn sich ihm dann der Verdacht aufdrängt, daß er sich bei einer solchen Gelegenheiten psychisch regelrecht verstrickt und daß ihm dabei – seinen eigenen Empfindungen zufolge – eine Art bleibender Schaden zu entstehen droht, dann sollte er sich aus diesem Anlaß doch mal ein bißchen mehr für sich und seine Psyche interessieren!
Das könnte dann auch heißen, sich vielleicht ein Herz zu fassen, und mithilfe eines Psychotherapeuten oder Beraters, sich selber einmal einer – in diesem Falle der Schaulust übrigens sehr verwandten – psychologischen Betrachtungsweise seiner „Lebenswirklichkeit im Ganzen“ anzuvertrauen.
Moderator
Herr Stenzel, was würden sie sich wünschen?
Stenzel
Ich würde mir wünschen: Wo immer noch keine Einsatzkräfte an der Einsatzstelle sind, daß die Schaulustigen, wie wir sie bezeichnen, sich ein Herz fassen, einfach zu den Verletzten hingehen. Wenn sie selber nichts tun können, könne sie aber die Hand halten und sagen: es kommt gleich Hilfe, beruhigen sie sich. Ich denke mal, daß einfach der Schritt nach vorne, es wird keinem der Kopf abgerissen wenn da irgendwie etwas nicht richtig gemacht worden ist – einfach nur hingehen und Trost.
Moderator
Vielen Dank! das war die NDR4-Redezeit heute zum Thema „Schaulust bei Unfällen“ mit Bernd Uwe Stenzel von der Berufsfeuerwehr Hannover und dem Kölner Psychologen und Psychotherapeuten Werner Mikus vom Psychosozialen Forum. In der Technik Horst Tokroll, am Telefon Dunja Pasternak, Produktion Hubert Schneider, die Umfrage machte Katharina Seiler und Redaktion hatte Sabine Seifert. Vielen Dank an alle Hörer und am Mikrofon verabschiedet sich Thomas Hestermann.
am 22.06.1994