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Zu den Dingen selbst

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Vorschläge für eine konsequente Hinwendung zu den Dingen

Wenn wir unsre Methoden an den Sachen selbst entwickeln und ausrichten wollen, müssen wir genau wissen was der Gegenstand unserer Wissenschaft ist. Wollen wir uns nicht hinter einer Methode verstecken, die mit dem Versprechen blendet, für alle Gegenstände der Wissenschaft gleichermaßen richtig zu sein, dann geht es nur auf diese Weise: Anschauen, was die eigene Sache ist und dann genau prüfen, was dieser Sache methodisch gerecht wird. Dabei geht es darum, eine Perspektive zu formulieren, die den Kern des eigenen wissenschaftlichen Tuns und Interesses heraushebt.

Für die Physik würde das bedeuten, dass sie sich als Wissenschaft von den  raumzeitlichen Zusammenhängen versteht. Auch Qualitäten wie z.B. die Wärme werden raumzeitlich beschrieben und als solche erforscht. Die Wärme hängt physikalisch von den raumzeitlichen Verhältnissen ab, und wird in der Physik auch auf diese hin und nicht anders etwa beschrieben: Also geht es bei dieser Qualität um die Bewegung der Moleküle, die an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeit zu beobachten sind.

Für die Mathematik würde es bedeuten, dass sie sich als Wissenschaft von den formalisierenden Zusammenhängen versteht: Eine Vierfachheit z.B. ist für sie ein Zusammenhang formalisierender Art, in welchem die Wirklichkeit auf die inneren Verhältnisse einer Wiederholbarkeit hin beschrieben wird (z.B. wenn es darum geht, im Vierfachen das doppelte von einem Zweifachen zu sehen etc.)

Die Perspektive einer Wissenschaft beschreibt Zusammenhänge, die selbst wiederum unter sich  zusammenhängen und dabei Gesetzescharakter annehmen. In der Physik kennen wir z.B. das Gesetz der Energieerhaltung, oder das der zunehmenden Entropie. In der Mathematik kennen wir z.B. das Gesetz der Gruppe, dem zufolge vier Bedingungen erfüllt sein müssen damit bestimmte Operationen zwischen Objekten bei sich selbst bleibend stattfinden können.

Beide Methoden, die der Mathematik und die der Physik, haben ihr Eigenes, was sich nicht in die eine oder andere Richtung auflösen lässt. Weder ist die Mathematik die Quelle aus der das raumzeitliche Geschehen entsteht, noch ist das Raumzeitliche der Ort, aus dem sich die formalisierenden Zusammenhänge „ableiten“ lassen. Sie stellen je eine eigene wissenschaftlich erschließbare Welt her, welche die Existenz der anderen überformt , ohne dass die eine die wahre und die andere nur die abgeleitete sei. Wenn wir auf die eine statt die andere  Perspektive hin beschreiben, dann deshalb weil eine der Perspektiven für das interessierende Ereignis und seinen Zusammenhang für uns die Führung haben soll.

Jede Wissenschaft, die von den Dingen her auf die Welt schaut, hat also einen eigenen Zugang zu der ganzen Wirklichkeit. Sie schneidet nichts ab von der Realität sondern nimmt alles und übersetzt es in ihre eigene Perspektive. Die so begründeten Wissenschaften überlappen sich daher mit anderen, ebenbürtigen Blicken auf die Wirklichkeit, aber keine dieser Wissenschaften ist eingelagert in der Perspektive einer anderen.

Daher müssen die Methoden des angemessenen Umgangs innerhalb dieser Wissenschaften auch an den Sachen selbst entwickelt werden und sollten nicht von draußen an die Zusammenhänge herangetragen werden. Dabei entstehen in Methode und Inhaltlichkeit parallele, eigene Welten.


Psychologie als die dritte im Bunde

In der Psychologie sehe ich eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit gefunden, die ebenso einen Blick auf das Ganze der Wirklichkeit wirft. Aber nur dann wenn wir ihren Gegenstand in den erlebbaren Zusammenhängen sehen.

Die gängige Festlegung der Psychologie auf das Erleben und Verhalten würde den Blick auf einen endlichen Phänomenbereich begrenzen so wie es in der Geographie, der Linguistik oder auch in der Musikwissenschaft z.B. gegeben ist. Die erlebbaren oder bildhaften Zusammenhänge stellen dagegen einen  perspektivischen Blick auf das Ganze der Wirklichkeit dar.

Erlebbare Zusammenhänge sind immer bildhafter Natur. Diese Feststellung erleichtert es das perspektivisch Ganze dieser Blickrichtung besser nachvollziehen zu können: Alles hat eine bildhafte, gleichnishafte Natur, auf die hin wir die Wirklichkeit beschreiben können, und zwar ohne dabei etwas auslassen zu müssen. Damit haben wir eine Perspektive in die hinein sich alles übersetzen lässt.

Wir können feststellen, dass sich nach fast 100 Jahren Erfahrungen unter einer Protoperspektive für diese gleichsam neue Wissenschaft, sich eigene Gesetzlichkeiten erkennen lassen (dabei geht es um Forschungen, die vor Allem auf das Verhalten und Erleben ausgerichtet waren und weniger auf die bildhaften Verhältnisse direkt) . Dass es in dieser neuen Wissenschaft auch um ein eigenes Methodenbewusstsein zu gehen hat, davon ist bisher noch nicht so viel zu hören gewesen. In der bildanalytischen Psychologie z.B. ist schon ein Anfang gemacht.

Sicherheit im eigenen, wissenschaftlichen Handeln müssen wir wo anders finden als in dem Wissen darum, vermeintlich die wahre Methode, den Generalschlüssel für alles gefunden zu haben. Nach Ansicht der Bildanalytischen Psychologie geht es darum, den Stimmigkeitssinn  für eine wissenschaftliche Arbeit zu kultivieren: Stimmig muss das erklärende Bild am Ende einer Untersuchung sein und stimmig auch die Abstimmung der Schritte untereinander, in welchen das Befragen einer Wirklichkeit und das Modellbilden bei gleichzeitig laufender, gegenseitiger Korrektur stattfindet.

Einer so verstandenen neuen Wissenschaft und Psychologie (oder Bildanalytik) geht es darum, erlebbare Zusammenhänge als solche zu beschreiben, und nicht etwa als zeitlich- räumliche oder als formalisierende. Außerdem will sie Gesetze finden in ihren eigenen Zusammenhängen (Zusammenhänge höherer Ordnung also), die nicht aus den raumzeitlichen oder formalisierenden Grundverhältnissen etwa abzuleiten sind. (Gestaltschließung, Verkehrung, Umstülpung oder Inversion von Verhältnissen etc.). Dabei ist klar, dass die erlebbaren Zusammenhänge z.B. auch immer in den raumzeitlichen Verhältnissen stattfinden und umgekehrt natürlich auch.

Die Zusammenhänge von Raum und Zeit z.B. haben dabei aber keine erklärende Wirkung, auf die Entwicklung und auf die Voraussagbarkeit des erlebbaren oder bildhaften Geschehens. Ein Beispiel: Jemand ärgert sein Gegenüber. Für die Vorhersage und für ein Verstehen des Geschehens spielen die zeitlichräumlichen Verhältnisse hier kaum eine Rolle: Nicht wie oft hintereinander jemand etwas Böses sagt, „zählt“, sondern eher, welches Selbstbild vielleicht angegriffen wird und wie der Angriff genauer aussieht? Ist er direkt oder auf eine besonders raffinierte Weise vorgebracht, also indirekt. Was unterstellt der Angreifende genau und welche Bedeutung hat das für den Angegriffenen. Lässt der Angreifer ihm eine Chance, den Angriff abzuwehren. Lässt er ihn zu Wort kommen oder legt er sofort nach. Wie auch immer, das Raumzeitliche hat hier eine nur sehr marginale Bedeutung für ein Verständnis des Ärgerns – wie wir es uns gut denken können.