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Die generalschlüsselartige Methode als Bremse
Jede Methode will einen eigenen Zugang zu den Dingen herstellen. Dabei müssen aber immer bestimmte Erwartungen erfüllt werden: Die Methode soll Vorhersagen ermöglichen, und die Erkenntnisse sollen sowohl zuverlässig als auch gut nachvollziehbar sein.
Die Wissenschaft der Neuzeit hatte sehr schnell ein Vorgehen entwickelt, welches wie ein feststehendes und genormtes Verfahren das wissenschaftliche Tun bestimmte. Dabei geht es um eine Methodik, die mit dem Anspruch auftritt, in jedem Bereich wissenschaftlichen Forschens der passende Schlüssel zu sein. Sie versteht sich also wie ein Generalschlüssel. Dreh- und Angelpunkt sind das so genannte Operationalisieren und das Erfüllen einer (formallogisch) widerspruchsfreien Form des Schließens. Wenn dieser methodische Schlüssel zur Untersuchung einer Sache nicht passt, ging und geht man auch heute noch davon aus, dass es sich bei der Sache nicht um einen Gegenstand der Wissenschaft handelt (die Wissenschaft im engeren Sinne ist damit gemeint, die empirische Wissenschaft).
Die Methode funktioniert wie folgt:
(1.) Eine komplexe Frage wird (im Rahmen einer wissenschaftlichen Bearbeitung) so lange umgeformt, bis sie auf eine Aussage heruntergebrochen ist, in deren Mitte etwas Abzählbares steht. (2.) Von der Form her muss die Aussage außerdem widerspruchsfrei sein, widerspruchsfrei im Sinne der formalen Logik (Aussagenlogik). (3.) Das Abgezählte wird in ein mathematisches Modell überführt und mit einem normierenden Modell verglichen (Beispiel: die konkrete Häufigkeitsverteilung mit der Normalverteilung = Glockenkurve). (4.) Die Ergebnisse aus dem mathematischen Modellvergleich werden zurückübersetzt in die komplexe Frage des Anfangs, um die es in der Untersuchung geht.
Durch das Runterbrechen auf Aussagen, die im Kern etwas Abzählbares enthalten, zwingen wir die Zusammenhänge der von uns untersuchten „Natur“ in einfache, wiederholbare Muster hinein. Wenn es aber um die Natur der bildhaften Zusammenhänge geht, kann es peinlich werden: Aus dem Erleben eines „sich Öffnens“ kann dann z.B. eine Metapher werden, die zum Grundmuster eines „Behälters“ gehört. Man stelle sich vor, einem Menschen öffnet sich ein neuer „Weg im Denken“, wie ein Rundweg vielleicht, der auch wieder in sich zurücklaufen kann. In der sogenannten Metaphernanalyse z.B. geht man davon aus, dass zuletzt alle Metaphern auf ein paar Grundmuster (Schemata) ausgerichtet sind, die sich von der frühen Körpererfahrung des Menschen her ableiten – gemeint sind damit z.B. das Schema des Behälters (Container), des Weges (Pfad) oder das der Kraft. Man kann sich gut vorstellen, wie hilfreich diese Schemata für ein Operationalisieren sind. Es ist aber auch nicht schwer zu erkennen, dass auf diesem Wege, wenn auch „gefühlt unschudig“, ein kaum zu rechtfertigendes Vorgreifen auf die Inhalte und Ergebnisse stattfindet. Das Problem des Operationalisierens zeigt sich also auch dort, wo eine komplexe Beschreibung gewünscht wird (Metapheranalyse, M. Buchholz).
Provozierende Erfahrung am Gegenstand der modernen Psychologie
Seelische Prozesse sind motiviert durch Widersprüche. Freud machte über die ganzen Jahre seines psychologisch orientieren Forscherlebens hinweg ein einziges großes Experiment. Mit einem Verfahren, der „Psychoanalytischen Kur“ (und das war sein großes Labor), konnte er zeigen, dass seelische Widersprüche, wenn sie nicht zugelassen sondern in ihrer Existenz wie geleugnet behandelt wurden, zu Beeinträchtigungen mit Krankheitswert führten. Der Beweis war folgendermaßen aufgebaut: Wenn in der psychoanalytischen Kur die seelisch wirksamen Widersprüche ernst genommen und in dem gelebten Alltag ohne verleugnende Strategien einbezogen werden konnten, verschwanden die Merkwürdigkeiten und die sogenannten Störungen. Bestimmte Krankheiten erwiesen sich durch dieses Experiment als Symptom für eine nicht angemessen einbezogene Widersprüchlichkeit der seelischen Natur: Setzte die laufende Analyse die Widersprüche wieder in ihr angestammtes Recht zurück, verschwanden auch die Störungen.
Freud erforschte eine für die Wissenschaft bisher unbekannte Natur, die sich natürlich nicht mit der generalschlüsselartigen Methode erforschen ließ. Dennoch entwickelte er ein verantwortliches oder anders gesagt, ein „stimmiges“ Vorgehen. Dieses kann als Vorgestalt gesehen werden für eine neue und andere Art, wissenschaftlich mit den Dingen dieser besonderen Natur umzugehen. Seine besondere Leistung dabei bestand darin, alles, was ihn interessierte, in komplexen, bildhaften Zusammenhängen zu beschreiben. Das zeigt sich auch in seinen theoretischen Schriften für die er mit dem Goethepreis ausgezeichnet wurde.