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Die halbherzige Hinwendung zu den Dingen
Die Vitalität der Bewegung „Hin zu den Dingen“ hielt aber nicht lange vor. Eine Ersatzordnung für die alte Ordnung der Dinge wurde schnell gefunden: Descartes Zweiteilung der Welt in die Natur des Geistigen und die des Materialen hatte das geschafft, unter Mithilfe der mathematischen Beschreibung der Gravitation (Newton) die ja das Zusammenhalten von Himmels-Geschossen berechenbar machte (und auf so einem saß der Mensch nach Verlassen des alten Denkens ja). Die Verheißung dieser neuen Ordnung war: Wir können im Buche der Natur (egal vom wem geschrieben) weiterlesen. Wir wissen jetzt, dass es in der Sprache der Mathematik geschrieben ist und daher dürfen wir hoffen, eines Tages alle Zusammenhänge dieser EINEN Ordnung (aber woher konnte man wissen dass es EINE war) gefunden zu haben.
Diejenigen, die den Impuls dennoch weiter spürten, nach neuen Zugängen zur Wirklichkeit und ihrer möglicherweise verschiedenen Naturen zu suchen, wurden schnell mit einem Pantheistischen Denken zusammengebracht. Einem solchen Denken ging es dann eher darum, sich Gott ein bisschen größer zu denken als bisher, sich ihn z.B. als einen Gott von unendlich vielen Welten vorzustellen – wobei es am Ende dann doch wieder auf dieses göttliche EINE einer Ordnung hinauslaufen sollte (so konnte man Giordano Bruno jedenfalls auch interpretieren).
Die Versuchung, die Dinge selbst zum Sprechen zu bringen, ihren eigenen Hinweisen auf die Wirklichkeit zu folgen und so einen methodisch immer besseren Zugang zu ihnen zu entwickeln, verlor sehr bald ihre Anziehungskraft angesichts der Verheißung einer über die Mathematik erreichbaren maximalen Sicherheit im Aufschließen der Wirklichkeit.
Man wollte jetzt soviel von der materialen Natur der Wirklichkeit (res exensa) erforschen wie eben nur möglich und glaubte sich im methodischen Vorgehen noch nie so sicher wie jetzt, wo man doch von einer Natur ausgehen konnte, die in der Sprache der Mathematik geschrieben und damit prinzipiell zu entschlüsseln war. Das Mathematische wurde zentral in den Rahmen eines Verfahrens gestellt, das wie ein Generalschlüssel für die Erschließung aller Zusammenhänge zur Verfügung stand (grob: Operationalisieren als Methode).
Was war aber der Preis für das Verheißungsvolle?
Zu allen Phänomenen, die in irgendeiner Weise mit der Seele, dem Denken und dem Geist etwas zu tun hatten, konnte auf diese Weise kein Zugang gefunden werden. Selbst so zeitnahe Denker wie Kant waren davon überzeugt, dass der menschliche Geist, (wie er sagte) sich der wissenschaftlichen Untersuchung entziehe weil das Denken eine Funktion der Seele sei und diesem deshalb auch keine mess- und überprüfbaren Parameter zugeordnet werden könnten.
Die Methode war also ein Hindernis für die Erforschung bestimmter Zusammenhänge. Die Methode musste ja nicht an den Dingen selbst erst entwickelt werden, sondern war für den Forscher wie von außen vorgegeben, ähnlich wie der Geist im dualistischen Weltbild in die materialen Dingen wie von außen hinein gegeben war, als etwas Fremdes, das sich nicht an der Sache selbst erst entwickeln musste.
Ein Hin zu den Dingen durch das Experiment
Die Neuzeit begann also mit der Versuchung, den Blick umzukehren: Statt von der Sicherheit einer göttlichen Ordnung auf die noch unbekannten Dinge der Natur zu schauen, traute man sich jetzt vom Kleinen, das man sich genauestens beschauen konnte, auf das Große zu schließen. Und das war die Geburtsstunde des Experiments. Die in Geist und Materie aufteilende Ersatzordnung die ja sehr bald gefunden war, hinderte nicht daran. Im Gegenteil, das Schließen vom Kleinen auf das Große ließ sich mit der neuen Ordnung ganz gut verbinden. Das wissenschaftliche Experimentieren wurde eine Erfolgsgeschichte. Es brachte tatsächlich näher an die Welt der Dinge heran. Allerdings für einen recht hohen Preis: Bestimmte Zusammenhänge mussten vollkommen ausgeklammert werden.
Wieso das so ist, wird deutlich, wenn wir uns anschauen, wie die Methode aussah und weitgehend auch heute noch aussieht. Dabei geht es um eine Methode, die das Versprechen macht, ein Generalschlüssel für die Erschließung jedweder Zusammenhänge zu sein. Bestimmte Dinge mussten dabei für die Wissenschaft geopfert und weil der Schlüssel dort nicht passte in die Nebenstube einer Geisteswissenschaft geschoben werden, die als eine nicht exakte Wissenschaft galt.
Immerhin entstanden im Zuge der vielen Experimente Protoperspektiven auf eine Wirklichkeit im Ganzen – Vorformen von Perspektiven die das Zeug dazu haben, einen neuen, eigenen Zugang zur Wirklichkeit mit entsprechend eigenen Methoden bereitzustellen (darauf komme ich später noch zurück).